Es passiert selten, dass sich zwei Stimmen ideal ergänzen. Wenn es jedoch gelingt, dann darf man auf Höhepunkte der Klangkultur gefasst sein. Andreas Scholl und Barbara Bonney sind musikalisch füreinander bestimmt. Ihre Version von Giovanni Battista Pergolesis “Stabat Mater” erstrahlt voll tiefer Kraft und klarer Schönheit. Ein Glücksmoment der Aufnahmegeschichte.
Giovanni Battista Pergolesi wurde nur 26 Jahre alt. Trotzdem schaffte es der neapolitanische Komponist, deutliche Spuren im musikalischen Leben der Barockzeit zu hinterlassen. Das lag vor allem an seiner Fähigkeit, einfache und verständliche Melodien in ein elegantes künstlerisches Gewand zu kleiden. Obwohl nicht alle seiner Zeitgenossen diese Begabung als solche erkannte, galt sein Name bereits nach vier Jahren öffentlicher Bühnenpräsenz als Qualitätsmerkmal und sorgte dafür, dass nach seinem frühen Tod zahlreiche Werke anderer Komponisten in dern Hoffnung auf Profit als seine eigenen ausgegeben wurden. Darüber hinaus sorgte ein Theaterskandal anno 1752 posthum für wachsende Berühmtheit. Nachdem seine Intermezzi “La Serva Padrona” in Paris aufgeführt worden waren, behaupteten führende Intellektuelle wie Jean-Jacques Rousseau die Überlegenheit des leichten, melodischen Stils gegenüber der französischen Tragédie Lyrique. Die Auseinandersetzung, die öffentlich mit Beschimpfungen im Theaterfoyer, ja sogar mit Duellen ausgefochten wurde, ging als “Buffonistenstreit” in die Musikhistorie ein.
Mehr jedoch als diese frühaufklärerischen Gedankenspiele sorgen Pergolesis ungewöhnlichen Werke dafür, dass er neben Alessandro Scarlatti zu den wichtigsten Komponisten seiner Generation gezählt wird. Allen voran das im Stil eines Lamento gehaltene zwölfteilige “Stabat Mater”. Pergolesi schrieb es während seiner letzten Lebensmonate im Winter 1735/36, als er im nahe Neapel gelegenen Franziskanerkloster von Pozzuoli versuchte, die Tuberkulose zu besiegen. Die Textvorlage stammte aus dem 13. Jahrhundert und war in seiner Heimatstadt durchaus populär. Der junge Mann jedoch gab der in Gedichtform gehaltenen Passionsgeschichte aus der Perspektive der Jungfrau Maria einen neuen Hintergrund. Denn er komponierte trotz des ernsten Inhaltes stellenweise durchaus fröhlich, populär und vor allem transparent. Der ornamentale Klangballast, mit dem viele seiner Zeitgenossen kokettierten, interessierte ihn nicht. So entstanden mit “Stabat Mater” und den beiden “Salve Reginae” verblüffend intensive und zugleich kompakte geistliche Werke, die Pergolesis Ruhm für die Nachwelt begründeten.
Und die Faszination, die von den Kompositionen ausgeht, hält bis in die heutige Zeit an. Wenn sich Künstler wie der Countertenor Andreas Scholl, die Sopranistin Barbara Bonney und der Dirigent Christophe Rousset mit seinem Ensemble Les Talents Lyriques dem “Stabat Mater” annehmen, dann kann man jenseits aller Professionalität vor allem die Ehrfurcht vor der Musik hören. Allen Beteiligten ist bewusst, dass sie es mit einem magischen Moment der Kulturgeschichte zu tun haben und sie tun ihr Bestes, um dieses Gefühl auch an die Zuhörer zu vermitteln. Die Zerbrechlichkeit der Melodien, das kunstvolle Ineinander der einzelnen Vokal- und Orchesterstimmen entwickeln sich unter ihrer Obhut zu einem Glanzstück der Interpretation, durch dessen Oberfläche man ein wenig von dem Himmel erahnen kann, den Pergolesi beim Komponieren im Sinn gehabt haben mochte.
Die Referenz:
“Dass sich ein Orginalklang-Ensemble so weit auf eine eher als romantisch zu bezeichnende Interpretation einläßt, darf als die eigentliche Überraschung der Einspielung gelten. Dies führt zu einer Ideal fließenden und vorwiegend auf innigen Wohlklang bedachten Linie, die der musikalischen Wahrheit sehr nahe kommen dürfte.” (R.Emans, FomoForum 12/1999)