Tradition war für Benjamin Britten der Maßstab. Sie bot den Ausgangspunkt der eigenen kulturellen Identität und war immer wieder die Referenz, zu der er sich in Beziehung setzte. Dazu gehörten auch bekannte und populäre Stoffe wie Weihnachten, die ihn zur Umsetzung auf musikalischer Ebene reizten. Sowohl “A Boy was born” als auch “A Ceremony of Carols” basiert auf Elementen der Weihnachtsgeschichte, auch wenn die beiden Kompositionen sich sehr unterschiedlich damit beschäftigen.
Als Benjamin Britten seinen Choralvariationszyklus “A Boy was born” konzipierte, war er noch Student am Royal College of Music in London. Die Sammlung mit Liedern um das Weihnachtsgeschehen entstand in etwa zeitgleich zu seinem op.1, der “Sinfonietta” (1932), und dokumentierte bereits außerordentlich früh in der Künstlerbiographie die gestalterische Kompetenz des neunzehnjährigen Eleven. Kaum ein Jahr darauf wurde es von den BBC Singers uraufgeführt und ebenfalls wenig später erschien es als Notentext. Es war nicht nur eine erstaunlich versierte Komposition eines Newcomers in der Szene, sondern erwies sich in der Linienführung auch als so komplex, dass Britten rund zwei Jahrzehnte später anlässlich einer Aufführung durch die Purcell Singers die Partitur überarbeitete und an einigen Stellen vereinfachte. Die sechs Variationen folgen inhaltlich einer aufsteigenden Handlungsführung. Zunächst erklingt ein Wiegenlied (“Mine own dear Mother, sing lullay”!), dem im zweiten Teil ein polternder und wütender Herodes entgegengestellt wird. Die dritte Variation nimmt als retardierendes Moment einen Teil der Spannung wieder weg und stellt dafür ein Gebet für Soloquartett in den Mittelpunkt (“Save us all through thy virtue”). Er folgen musikalische Assoziationen zu den Reisen der Heiligen Drei Könige, ein reserviertes Knabenlied mit Verweis auf die Vergänglichkeit, schließlich ein schillerndes Finale mit achtstimmigem Chor, das in das Crescendo zum finalen “Hosanna” führt.
Es dauerte zehn weitere Jahre bis sich Britten abermals der Weihnachtsgeschichte annahm. Diesmal bekam das Werk den Titel “A Ceremony Of Carols” und wurde als Prozessionsmusik geplant. Im Zentrum standen Texte und Lieder aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit für Sopranstimme mit Harfenbegleitung. Den Rahmen bilden Choräle als Einzugs- und Auszugsmusik, die den weihnachtlichen Melodien und Rezitationen die passende Form geben. Die letzten beiden Werke der Sammlung dieser CD allerdings hatten weit weltlichere Anlässe. “Friday Afternoons” entstand 1936 für die Schule, in der Benjamins Bruder Robert unterrichtete. Da dieser besonders den Gesang pflegte, schrieb ihm Britten zwei Handvoll Stücke auf den Leib, die dann im Unterricht verwendet werden konnten. Bleibt noch “Psalm 150”. Auch hierbei handelte es sich um eine Widmungskomposition, diesmal allerdings für seine eigene Grundschule, die im Jahr 1962 ihr hundertjähriges Jubiläum feierte. Opulent orchestriert unterscheidet es sich deutlich von den anderen Werken der Zusammenstellung. Ähnlich blieben allerdings die interpretatorischen Voraussetzungen. Alle vier Aufnahmen, die zwischen 1958 und 1967 entstanden, wurden vom Urheber persönlich geleitet. Und alle vier sind von derselben Gestaltungslust bestimmt, die das gesamte Schaffen Benjamin Brittens leitete und bestimmte.