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Das Herz schlägt Französisch: Jessye Norman singt Michel Legrand

14.02.2001

Ihre Soloabende sind Huldigungsfeiern an die Musik, ihre Kunst kennt nichts Halbherziges, ihrem Zauber zollen Millionen willig Tribut. Man kann sie nur lieben oder hassen – dazwischen ist nichts: Jessye Norman.

Als die EMI im Jahre 1970 ein Recital mit Liedern von Richard Strauss, Franz Schubert und Francis Poulenc veröffentlichte, ging man in der Branche schnell wieder zur Tagesordnung über. Die Debütplatte einer unbekannten Sopranistin lockte damals nur wenige Käufer in die Läden und für das Produktionsmanagement von EMI Electrola hatte sich das Thema Jessye Norman vorerst wieder erledigt. Nicht so bei der klingenden Konkurrenz von Philips Classics. Dort nämlich zögerte man nicht lange und nahm die Siegerin des Münchner ARD-Wettbewerbes von 1968 unter Vertrag. Mit Mozarts Contessa Almaviva für Sir Colin Davis' erste Aufnahme von “Le Nozze di Figaro” begann eine Zusammenarbeit, die anno 2000 in ihr 28. Jahr geht und in dieser Zeit viele imponierende Resultate zeitigte.

 

Ihre Aufnahmen von Mahlers “Wunderhorn-Liedern” mit Bernard Haitink und “Das Lied von der Erde” mit Sir Colin Davis gelten heute ebenso als Klassiker des Kataloges wie etwa Schönbergs “Gurrelieder” unter Seiji Ozawa, Strauss' “Vier letzte Lieder” mit dem Gewandhausorchester oder Purcells “Dido and Aeneas” mit dem English Chamber Orchestra und Raymond Leppard. Nicht zu vergessen ihre Lied-Interpretationen von Mozart und Beethoven bis hin zu Richard Strauss und – last but not least – Arnold Schönbergs “Brettl-Lieder”.

 

Man könnte meinen, die Meister des Liedes hätten ihre Werke einst in prophetischer Laune für diese Diva komponiert: Schubert, Schumann, Brahms, Strauss, Schönberg oder Berg. Wie kaum eine Zweite beherrscht die Norman die raffinierte Kunst der Verführung durch Worte und Töne. Ihrem Gesang, ihren Blicken, ihren Gesten entzieht sich keiner ungestraft. Wer einmal Schuberts “Erlkönig” oder “Der Zwerg” von ihr gehört, Schumanns “Frauenliebe und -leben”, Brahms' “Von ewiger Liebe” und “Der Tod, das ist die kühle Nacht”, oder aber Richard Strauss' “Zueignung” und “Wiegenlied”, der wird – magisch in ihren Bann geschlagen – Jessye Norman widerspruchslos die Krone des Liedgesanges zuerkennen.

 

Jede Nuance wird lustvoll ausgekostet, jede Stimmung mit nachgerade traumwandlerischer Sicherheit erfaßt, und jedes Wort zur kunstvollen Miniatur geformt. Egal ob in deutscher oder französischer Sprache. Denn eines dürfte gewiß sein: Wie tief sie auch immer in das deutsche Liedrepertoire – unerheblich ob Romantik, Spätromantik oder klassische Moderne – vordringen mag, ihr Herz hat Jessye Norman an die französische Musik verloren.

 

Keine singt Ravels “Shéhérazade” mit mehr Laszivität als sie; keiner fließt das morbide Pathos von Berlioz' “La mort de Cléopâtre” eindrucksvoller von den Lippen als ihr; und keine verleiht der Traurigkeit in Berlioz' “Les nuits d'été” mehr Schattierungen als sie. Selbst dann noch, wenn sich die große Tragödin einmal auf eher ungewohnt-unbeschwertes Terrain begibt, bleibt sie la Grande Dame de la musique: Als Offenbachs Belle Hélène zieht die Norman alle Register vokaler Camouflage – von parfümierter Koketterie bis hin zu ungezügelter Sinnlichkeit. Und auch die Franzosen haben La Jessye längst in ihr Herz geschlossen. Wie sonst ließe sich erklären, daß sie ihre heilige “Marseillaise” zum 200. Jubiläum der Französischen Revolution 1989 niemand anderem anvertrauten als einzig La Jessye. Kein Wunder schließlich auch, daß sie aus den Händen von Staatspräsident Francois Mitterand den Ordre de la Légion d’honneur entgegennehmen durfte.

 

Nun also Michel Legrand. Jessye Normans Ausflüge in eher leichtere musikalische Gefilde sind nicht neu: Ihre Alben “Lucky to be me” oder “With a Song in My Heart” haben hinlänglich bewiesen, daß sie dank Einfühlungsvermögen und Stilsicherheit auch hier genau den richtigen Ton zu treffen versteht. Legrand, französischer Filmkomponist mit Schweizer Wohnsitz, darf sich getrost zu den Größten des musikalischen Filmgeschäftes zählen. Kaum einer, dem die eingängigen Melodien aus seinen Filmen noch nicht im Ohr geklungen haben. Regisseure wie Joseph Losey, Agnès Varda, Jean-Luc Godard, Richard Brooks oder Orson Welles feierten ihre Film-Erfolge nicht zuletzt mit den Ohrwürmern aus der Feder eines der meistbeschäftigten Komponisten in Hollywoods Tonstudios der sechziger Jahre.

 

“L’Amerique insolite” (1960), “Le chien de pique” (1960) sowie “Les demoiselles de Rochefort” (1967) avancierten zu Kassenschlagern und mit der Musik zu “Les Parapluies de Cherbourg” schrieb Legrand 1963 gar Filmgeschichte. Die Namen derjenigen aber, die seine Songs in ihr Repertoire aufnahmen und ihnen das Flair des Besonderen verliehen, liest sich wie das Who’s who des internationalen Show-Business: Sarah Vaughan, Neil Diamond, Aretha Franklin, Barbra Streisand, Ray Charles, Frank Sinatra, Nina Simone, Kiri Te Kanawa, um nur einige aus der über 100 Alben zählenden Legrand-Diskographie zu nennen.

 

So war es letztendlich nurmehr eine Frage der Zeit, wann sich die künstlerischen Wege der beiden Mega-Stars Norman und Legrand kreuzen würden: Die Grande Dame, die man als “Naturgewalt” mit “überlebensgroßer” Präsenz und “verschwenderischen stimmlichen Mitteln” feiert, und der dreifache Oscar-Preisträger. “Meine Freundin Lilian und ich saßen eines Abends in einer kleinen Piano-Bar”, erinnert sich Jessye Norman an die Geburtsstunde ihres Legrand-Albums, “und plötzlich begann der Pianist Musik von Michel Legrand zu spielen. Ich sagte zu Lilian: ‘Oh, ich liebe die Musik von Michel Legrand und wäre es nicht wunderbar, ein Album mit Legrand-Songs zu machen?’ – ‘Ich kenne Michel’, erwiderte Lilian. ‘Meine Liebe’, sagte ich zu ihr, ‘ich kenne dich jetzt seit 15 Jahren und in all den Jahren hast du nicht einmal den Namen Michel Legrand erwähnt. Also bitte…’ – ‘Na ja, ich habe ihn vor etwa zwei Monaten auf einer Party in Paris getroffen’, verteidigte sich Lilian. ‘Und das nennst du dann jemanden kennen…’ Lilian, die mit einer gehörigen Portion Chuzpe gesegnet ist, kramte daraufhin Michels Visitenkarte hervor und rief ihn in seinem Pariser Appartement an. Dort hieß es, er sei gerade in Japan. Also rief Lilian dort an, bekam ihn an den Apparat und fragte rundheraus: ‘Ich sitze hier mit Jessye Norman, die gern mit Ihnen arbeiten würde. Wann, meinen Sie, können wir uns treffen?’ – ‘Sobald wie möglich’, lautete seine Antwort. Und dann, stellen Sie sich das mal vor, dann kam der damals frisch verheiratete Michel Legrand tatsächlich in seinen Flitterwochen nach New York, um mich zu sehen. Ist das nicht herrlich?!”

 

Die musikalischen und Lebenserfahrungen beider Künstler sind in dem nun vorliegenden Album “I Was Born in Love With You” auf einzigartige Weise verwoben. Jessye Normans schier unendlich wandelbare, dunkel-samtig timbrierte Stimme und Michel Legrands sichere Hand als Arrangeur und Begleiter verleihen diesem klingenden Kaleidoskop aus Sentiment, Passion und Melancholie Authentizität und unvergängliche Schönheit.

 

Mit den Songs von “I Was Born in Love With You” läßt Jessye Norman die Erfolgsmelodien des 1990 in die “Songwriters' Hall of Fame” aufgenommenen Filmkomponisten klangvoll Revue passieren. Auf keinen seiner großen Erfolge wollte und durfte man angesichts der einmaligen Konstellation Norman-Legrand verzichten. Und so ziehen sie denn an uns vorüber, die Hits aus “The Happy Ending” und “Wuthering Heights”, aus “Summer of 42” und das berühmte “The Windmills of Your Mind” aus “The Thomas Crown Affair”, für das Legrand 1968 seinen ersten Oscar erhielt. Mit dem bittersüßen, eigens für Jessye Norman geschriebenen Song “Afterthoughts” aber erwies er La Jessye seine musikalische Referenz, für die sich die Sängerin mit einer der schönsten Interpretationen dieses Albums bedankte.

 

Wenn Jessye Norman am 19. bzw. 26. Mai mit zwei Recitals in Mannheim und Hamburg gastiert, wird sie als Zugabe vielleicht “You Must Believe in Spring” singen: Und mit Freuden wird man dieser Aufforderung Folge leisten, weil eben sie singt: Jessye Norman – La Divine.

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