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Jessye Norman
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Schuld ohne Ausweg

05.08.2005

Es ist eine enorme Herausforderung. Denn Igor Stravinskys Oedipus Rex ist kein konventioneller Opernstoff, sondern eine in die Form eines Oratoriums gefasste Versinnbildlichung des Abstraktionsdenkens, mit dem die Neue Sachlichkeit die romantischen Klischees der Vergangenheit überwinden wollte. Julie Taymor hat sich der Aufgabe gestellt und für das japanische Saito Kinen Festival eine der faszinierendsten Inszenierungen für das Musiktheater geschaffen, die in den neunziger Jahren zu erleben war.

Es ist klassischer Stoff der griechischen Tragödie, der mit klarer Eindringlichkeit die Schicksalhaftigkeit und Schuld des menschlichen Daseins verdeutlichte. Mit der Gestalt des Oedipus schuf Sophokles einen tragischen Antipoden zu Antigone, der ähnlich wie die Frauengestalt in einen Konflikt gerät, der nicht zu lösen ist. Ihm wurde geweissagt, dass er eines Tages seinen Vater töten und seine Mutter heiraten würde, was in etwa zu den schlimmsten Vergehen gehörte, die sich die Antike vorstellen konnte. Überheblich zu Beginn, stellte er im Laufe der Tragödie fest, dass die Prophezeiung eingetreten ist, weil er nicht der ist, der er zu sein glaubte.

 

Diese Aporie der Existenz hatte für den französischen Autor Jean Cocteau einen besonderen Reiz, so dass er daraus eine Übertragung in die Theatersprache der 1920er Jahre schuf. Die nun wiederum beeindruckte Stravinsky so sehr, dass er den Kollegen darum bat, ein Libretto daraus zu formen. Cocteau entschlackte die Handlung auf einen wesentlichen Kern, den der Komponist darüber hinaus ins Lateinische übersetzen ließ. Der Zweck war klar: Das Kalte und Analytische der toten Sprache sollte auch den letzten Rest personalisierter Darstellung verhindern, denn den Künstlern ging es um das Schematische, Archaische, Archetypische, das in dieser Geschichte verborgen lag. Daher wurde aus Oedipus Rex auch keine Oper, sondern ein Oratorium, allerdings eines, das mit Handlungselementen verknüpft ist. Am 30. Mai 1927 wurde das Werk am Pariser Théatre Sarah Bernardt unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt. Seitdem gehört es zu den besonders komplexen Bühnenstücken, vor dessen Inszenierung mancher Regisseur zurückschreckt.

Nicht so Julie Taymor. Als die Anfang der Neunziger das Angebot bekam, für das junge Saito Kinen Festival im japanischen Matsumoto sich des schwierigen Stoffs anzunehmen, entschied sie sich für diese Arbeit. Es war ihre erste Oper(film)produktion und sie hatte die besten Voraussetzungen. Denn als Solisten standen ihr Stars wie Philip Langridge (Oedipus), Jessye Norman (Iocaste) und Bryn Terfel (Kreon) zur Verfügung. Mit dem erfahrenen Tänzer Min Tanaka (Oedipus Dancer) hatte sie die japanische Buto-Tradition in der Inszenierung, Seiji Ozawa, ein achtzigköpfiger Chor, zwanzig weitere Tänzer und das Orchester des Festivals sorgten für die bestmögliche musikalische Umsetzung. Die Robert Wilson-geschulte Choreographin Suzushi Hanayagi schuf semiotisch bedeutsame und zugleich behutsame Bewegungsabläufe, Taymor entwickelte spezielle Schminktechniken, die die Maskenhaftigkeit der Protagonisten unterstrichen. Überhaupt wurden die Elemente des Starren und Formelhaften eindrucksvoll verbildlicht. Die übergroßen puppenhaften Hände, die Masken auf den Köpfen der Hauptfiguren, die pestzerfurchten Gestalten des Chores verweisen von Anfang an auf die Abhängigkeit des Oedipus von seinem Schicksal. Er ist ein Marionette, dem die eigenen Entscheidungen entgleiten und landet zum Schluss geblendet als Ausgestoßener im Niemandsland.

So wird Taymors Inszenierung in der unspektakulär gedrehten, aber wirkungsvollen Filmversion zu einem ergreifenden Musiktheater-Erlebnis, dem es gelingt, die Macht der Bilder auf der Bühne auf die Kamera zu übertragen, ohne die Kraft der Musik – in PCM Stereo, wie auch DTS Digital 5.1 Surround archiviert – zu vernachlässigen. Eine außergewöhnliche Aufführung und ebenso beeindruckende, durch Interviews mit den Beteiligten ergänzte DVD-Edition.

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