Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Jedenfalls fand sie schon sehr früh zu ihrem Instrument. Alisa Weilerstein war gerade einmal 4 Jahre alt, als sie sich für das Cello entschied. Sie drängte ihre Eltern, Cello spielen zu dürfen. Das betont sie immer wieder. Es waren nicht die Eltern, die ihr das Instrument nahelegten. Es war ihr eigener Wille, sich diesem Instrument zu widmen.
Symbiotische Beziehung
Dazu muss man wissen, dass Alisa Weilerstein aus einem sehr musikalischen Elternhaus kommt. Ihr Vater Donald spielte die Erste Geige im Cleveland Quartet, und ihre Mutter ist die renommierte Pianistin Vivian Weilerstein. In einem solchen Elternhaus ist einem die Musik quasi schon in die Wiege gelegt, und dadurch erlangt das Instrument eine besondere Bedeutung. Es wird zu einem Symbol des Eigensinns, des höchstpersönlichen Ausdrucks. Das gilt natürlich auch für andere Instrumentalisten. Aber für Alisa Weilerstein gilt dies in ganz besonderen Maße. Wenn man die junge Amerikanerin spielen sieht, dann spürt man auf Anhieb, wie stark sie mit ihrem Instrument verbunden ist.
Dvořák – die Fügung
Tief verbunden fühlt sie sich auch Antonín Dvořák. “Es mag wie ein Klischee klingen”, bekennt sie in einem Interview, “aber ich denke, dass Dvořák der beste Cello-Komponist war.” Kein anderer Komponist habe, so Weilerstein, ein so feines Verständnis für die “menschliche Stimme des Cellos”. Dabei hält sie sein Cellokonzert in h-Moll, das Dvořák während seines Amerika-Aufenthalts schrieb, für das bedeutendste dieses Genres. Sie kennt es schon sehr lange und wollte es bereits in jungen Jahren spielen. Damals besaß sie die technischen Möglichkeiten dafür noch gar nicht, und man riet ihr davon ab, sich so früh schon damit zu beschäftigen. Deshalb übte sie es heimlich. Ihr Bedürfnis war so stark, dass sie es einfach tun musste, und dieses Verlangen, diese unbedingte Sehnsucht hört man ihrer emotional tiefsinnigen und technisch perfekten Interpretation in all ihren Dimensionen an.
Leidenschaftliche Intensität
Dabei besticht ihr Spiel vor allem durch leidenschaftliche Intensität. Man hat das Gefühl, dass sie sich regelrecht hineinstürzt in das Abenteuer dieser Komposition, die von hochgespannter Sehnsucht, über Gefühle des romantischen Verliebtseins bis hin zu zehrendem Abschiedsschmerz alle Regungen abbildet, zu denen eine hochherzige Seele fähig ist. Dabei hat man niemals das Gefühl einer übermäßigen Anstrengung. Weilersteins Spiel ist durch und durch natürlich, und das kommt dem Ausdruck der einfachen, liedhaften Passagen, die so typisch für Dvořák sind, besonders zu Gute. Wenn man diese Aufnahme hört, dann weiß man, was Weilerstein meint, wenn sie von der “menschlichen Stimme des Cellos” spricht, und natürlich trägt auch der warme Klang des Tschechischen Philharmonischen Orchesters unter der Leitung des großen Jiří Bělohlávek dazu bei, dass diese Aufnahme zu einem gelungenen Ganzen wird.
Furios und verträumt
Dem dramatisch und feierlich angelegten Cellokonzert, in dem Dvořák wahrscheinlich den Tod seiner von ihm heiß begehrten Schwägerin Josefina Čermáková verarbeitete, folgt die wundervolle Cello-Fassung des Liedes “Lasst mich allein”. Das Lied klingt als Zitat bereits in dem Cellokonzert an und ist der historischen Legende nach der Schwägerin gewidmet gewesen. Weilerstein spielt es erstaunlich reif, mit großem melancholischen Charme, und die äußerst diskrete Klavierbegleitung der jungen russisch-amerikanischen Pianistin Anna Polonsky rundet es elegant ab. Dagegen kommt im Rondo und im “Slawischen Tanz” wieder Weilersteins furioser Stil zur Geltung, während “Stille Wälder” und das für Cello bearbeitete Thema “Goin’ Home” aus Dvořáks 9. Sinfonie (“Aus der Neuen Welt”) eine Begabung zum Träumen erkennen lassen. Ein Album wie aus einem Guss. Zusammen mit dem beigefügten Booklet-Essay aus der Feder des Dvořák-Experten Prof. Michael Beckerman mustergültig.
Alisa Weilerstein spielt “Lasst Mich Allein, Op.82” aus dem Album Dvořák –
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