Man glaubt es kaum, aber so etwas gibt es doch. Selbst von umfangreich für die Nachwelt festgehaltenen künstlerischen Persönlichkeiten wie dem Jahrhundertdirigenten
Herbert von Karajan lagern noch Schätze in den Archiven, die bislang nicht gehoben wurden. Aktuelles Beispiel: Der “Fidelio” von 1962. Die sorgfältig restaurierte Rundfunkaufnahme ist ein bisher unveröffentlichtes Livedokument aus der Wiener Zeit des Maestros und zeugt von einer Aufführung voll Spontanität und Spannung. In mancher Hinsicht ist sie gar eine Besonderheit in der Diskographie des Dirigenten. Denn wann immer es möglich war, gab Herbert von Karajan dem Studio den Vorzug vor der Live-Aufnahme. Dabei hatte seine Musik mit der Atmosphäre eines Konzertevents noch einmal besondere Qualitäten.
Gegen eine feste Anstellung hätte Ludwig van Beethoven nichts gehabt: Doch es hat nicht sollen sein, obwohl sich der Komponist in seinem Bewerbungsschreiben 1806 Mühe gegeben hatte, selbstbewusst und pragmatisch zu erscheinen. Darin jedenfalls konnte man lesen: “So nimmt sich derselbe die Freiheit, sowohl seine Bereitwilligkeit zu diesem Engagement, als auch folgende Bedingungen zur beliebigen Annahme der löblichen Direction geziemendst vorzulegen: 1. Macht sich derselbe anheischig und verbindlich jährlich wenigstens eine große Oper, die gemeinschaftlich durch die löbliche Direction und den Unterzeichneten gewählt würde, zu komponieren; dagegen verlangt er eine fixe Besoldung von jährlich 2400 fl nebst der freien Einnahme zu seinem Vortheile bei der dritten Vorstellung jeder solcher Oper. 2. Macht sich derselbe anheischig, jährlich eine kleine Operette oder ein Divertissement, Chöre oder Gelegenheitsstücke nach Verlangen und Bedarf der löblichen Direction unentgeltlich zu liefern”.
Die Anstellung jedoch blieb aus, wohl auch aufgrund der Erfahrungen mit Beethovens erster Oper “Fidelio”, die unter keinem guten Stern gestanden hatte. Am 20. November 1805, eine Woche nach dem Einmarsch der französischen Truppen in Wien, hatte sie Premiere. Das adelige Publikum war überwiegend aus der Stadt geflohen, der verbleibende Rest empfand das Werk als zu ernst, zu lang und zu mächtig. Bereits nach wenigen Vorstellungen wurde die Oper abgesetzt, Beethoven selbst ließ sich nur mühsam zu einer Streichversion überreden, die dann am 29. März 1806, diesmal allerdings mit mehr Beifall, ebenfalls in Wien folgte. Die dritte Überarbeitung schließlich geschah dann auf Wunsch des Komponisten selbst und gipfelte in einer erfolgreichen Aufführung am 23. Mai 1814, die für “Fidelio” den Durchbruch bedeutete. Seitdem verbindet die Wiener Staatsoper ein besonderes Verhältnis mit dem “Fidelio”. Dort war sein Ausgangspunkt und dort wurde er von den Größen der Zunft regelmäßig dirigiert.
Und dazu gehörte auch der damalige Chef des Hauses Herbert von Karajan. Am 25. Mai 1962 dirigiert er die Premiere einer neuen Inszenierung am Haus, mit viel Herzblut und großartigen Solisten.
Christa Ludwig etwa glänzte in ihrem Rollendebüt als Leonore und wurde mit dieser Aufführung zur Kammersängerin gekürt. Der Fidelio, meinte sie später, sei eigentlich ihr “Sorgenkind” gewesen. Doch “an diesem ersten Abend hat sie es beeindruckend vermocht, ihre Nervosität in einen persönlichen Spannungszustand zu verwandeln, der nicht nur ihrer Gestaltung der Rolle in jedem Moment Glaubhaftigkeit verleiht, sondern hörbar auch ihre Partner mitzureißen vermag – bis hin zu Herbert von Karajan, dessen Fidelio-Interpretation in keiner anderen Aufnahme so lebendig zu erleben ist”, erinnert sich Gottfried Kraus, der damals für das Musikprogramm und die Konzertübertragungen des Österreichischen Rundfunks verantwortlich war. So kommt es, dass nun herausragende Solisten wie Christa Ludwig, Gundula Janowitz, Jon Vickers und ein charismatischer, inspirierter Herbert von Karajan einen “Fidelio” im akustischen Referenz-Gewand präsentieren können.