Alisa Weilerstein ist ein Phänomen. Die junge amerikanische Solistin ist beinahe mit ihrem Cello verwachsen, so selbstverständlich gibt sie sich ihm hin. Beim Musizieren überlässt sie sich ganz ihren Gefühlen und verliert doch nie die Kontrolle über ihr Instrument. Ihre Technik ist nahezu perfekt, ohne dass sie jemals steril klingt oder gar der Versuchung erliegt, Virtuosität zu demonstrieren.
Ihre poetische Frühreife ist schon oft beschworen worden. Die 1982 in Rochester/New York geborene Künstlerin wird in einem Atemzug mit Jaqueline du Pré genannt. Wie die legendäre britische Cellistin, besitzt Alisa Weilerstein die seltene Gabe, an die Grenzen zu gehen und sich musikalisch vollkommen zu verausgaben. Das hat sie mehrfach unter Beweis gestellt, und ihr Publikum weiß dies zu würdigen.
Was an ihrer hohen Spielkultur bislang jedoch unterschätzt wurde, das ist ihre Verwandlungsfähigkeit. Alisa Weilerstein vermag mit viel Geschick in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen, und ihr neues Album ist ein imponierendes Zeugnis hierfür. Einerseits widmet sie sich hier in altbekannter Manier mit leidenschaftlicher Inbrunst spätromantischen, in die Moderne hineinragenden Klangwelten. Andererseits fügt sie ihrer Spielweise mit diskretem Charme neue Akzente hinzu.
Ihre Interpretation der beiden Cellokonzerte von Dmitri Schostakowitsch offenbart ironische Momente. Man hat bisweilen den Eindruck, als tauche Alisa Weilerstein nicht nur in die spätromantischen Tiefen dieser Musik ein, sondern lächle auch darüber. Dafür bietet ihr der russische Komponist viele Steilvorlagen. Schostakowitsch begriff humoristische Stilmittel als Chance, um sich von den einengenden Ansprüchen der sowjetischen Kunstpolitik freizustrampeln.
Der russische Komponist baute manchmal absurden Pomp in seine Werke ein, und Alisa Weilerstein hat sich mit dieser Strategie seines Schaffens intensiv auseinandergesetzt. Für die junge Musikerin handelt es sich hierbei um eine “Parodie der Romantik”. Dahinter verberge sich jedoch, so die amerikanische Cellistin, eine tiefe “Sehnsucht nach einer einfacheren, besseren Welt”. Diese Spannung zwischen Humor und Sehnsucht fängt Alisa Weilerstein auf ihrem neuen Album kongenial ein.
Schon das Allegretto im ersten Cellokonzert (Op. 107) versprüht mit seinem marschähnlichen Thema diesen Witz, diese unverkennbare Ironie von Schostakowitsch. Aber in dem elegischen zweiten Satz zeigt sich dann postwendend, wie ernst die Lage ist und wieviel Schmerz sich hinter dem schwarzen Humor des Komponisten verbirgt. Weilerstein demonstriert eindrucksvoll, dass Humor, Schmerz und die zehrende Sehnsucht nach Erlösung bei Schostakowitsch nah beieinander liegen.
Ihr Spiel hält gewaltige Spannungen aus, und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Pablo Heras-Casado unterstützt sie bei dieser anspruchsvollen Aufgabe prächtig. Die Kommunikation zwischen dem fein abgestimmten Orchester und der empfindsamen Cellistin ist hinreißend. Das zeigt sich vor allem in dem Largo des zweiten Cellokonzertes (Op. 126). Die poetische Ausdruckskraft, die hier erreicht wird, ist schier überwältigend.