Als Claudio Abbado 1989 die Leitung der Berliner Philharmoniker übernahm, ging gerade ein Ruck durch die Welt. Die alten Grenzen zwischen Ost und West, die noch kurz zuvor so ehern wirkten, fielen und ließen mit einem Mal eine Freiheit zu, die niemand geahnt hatte. Aufbruchsstimmung bestimmte den Alltag und auch ein traditionelles Orchester wie die Berliner Philharmoniker bekam zu spüren, das manche lieb gewordene Gewohnheit zur Vergangenheit geworden war. Abbado musste kämpfen, gegen Schönredner und Sparfunktionäre, gegen Geschmacksnormierung und Musikerschwund.
Während seiner Amtszeit ging ein Drittel der erfahrenen Musiker in Rente oder verlies das Orchester aus anderen Gründen. Der Chefdirigent schaffte es jedoch, die neuen Kollegen in Windeseile in den weltberühmten Klangkörper zu integrieren. Er entwickelte ein Repertoire von Tschaikowsky bis Stockhausen mit den Zentren Beethoven, Brahms und Mahler, das ihn und die Berliner Philharmoniker um die ganze Welt ziehen ließ und ihm Lob und Jubel von New York bis Paris einbrachte. Sein Management erzielte eine brillante Öffentlichkeitswirkung und hielt geschickt die Waage zwischen Innovation und Tradition.
Abbado dirigierte aus Leidenschaft. Sein Ziel war die Transparenz der symphonischen Tonsprache, die das Pathos ebenso wie das elegante Detail zulässt. Und so entwickelte sich über die Jahre eine individuelle Handschrift, deren Klanggestaltung mit ausgedehnten Spannungbögen, fein differenzierter Gesamtwirkung und sorgfältig ausgearbeitete Binnenstruktur der Interpretationen sich besonders für die großen Meister der Klassik und Romantik eignete. Abbado dirigierte Beethoven und Brahms, Dvorak und Prokofiev, arbeitete mit Solisten wie Maurizio Pollini und Yevgeny Kissin.
Das erstmals 2002 erschienene und nun wieder erhältliche “Berlin Album” versammelt auf zwei CDs eine farbige Palette der Möglichkeiten des großen italienischen Dirigenten. Zu den ausgewählten Aufnahmen aus der Zusammenarbeit zwischen Abbado und den Berlinern gehören Auszüge aus den Mahler-Symphonien Nr. 5 und 7, Wagners Walkürenritt, Berlioz’ “Römischer Karneval”, zwei Bilder aus Mussorgskys “Bilder einer Ausstellung” sowie Musik von Brahms, Prokofiev, Beethoven, Debussy und Tschaikowski. “Berlin Album” dokumentiert den Ausklang einer Ära, die das symphonische Leben der Milleniums-Jahre geprägt hat.