Es gab mal eine Zeit, da war Stereo noch etwas Besonderes. Als im Juni 1954 die Techniker zum Ortstermin mit Ernest Ansermet und dem Orchestre de la Suisse Romande anrückten, wussten sie nicht, ob ihnen der Geniestreich der ersten Zweikanal-Aufnahme für die Decca gelingen würde. Sie hatten Glück und so wurde Rimsky-Korsakovs “Antar” ein Stück Schallplattengeschichte.
Ernest Ansermet stand mit leuchtenden Augen auf, nachdem er sich die gesamte Aufnahme von “Antar” schweigend angehört hatte. Er drehte sich um, legte die Hand auf die Schulter des Technikers und meinte nur: “Das ist ganz überragend. Es ist wunderbar. Es ist so, als stünde ich an meinem Pult”. Ein Aufatmen ging durch die Runde, denn der Termin im Juni 1954 in der Genfer Victoria Hall war ein Wagnis gewesen. Der Ingenieur Roy Wallace hatte noch Wochen zuvor in mühsamer Kleinarbeit aus einem Mono-Mischpult ein Stereo-Gerät gebastelt. Zufällig kamen zur gleichen Zeit eine Zweispurtonbandmaschine und die dazu passenden Boxen auf den Markt. So waren zumindest theoretisch die Möglichkeiten gegeben, sich der neuen Aufnahmetechnik zu bedienen. Allerdings gab es kaum Erfahrungen damit. Wo also die Mikrofone standen, wie sie den Raum wahrnahmen und die Lautstärkeverhältnisse der Instrumente abbildeten ý das alles war Glücksache. Nach “Antar” wurde daraus schrittweise die Regel, so dass für die im November 1960 festgehaltene “Scheherazade” niemand sich mehr Sorgen um den Sound machen musste. Da konnten bereits alle Details in ihrer Brillanz auf die Bänder gebannt werden und das Urteil der Künstler betraf eher den Gehalt der Interpretationen als die Möglichkeiten der Archivierung.
Auf jeden Fall hatte die Decca mit Ernest Ansermet einen Dirigenten für ihr Experiment ausgewählt, dessen Spezialität die Ausarbeitung subtiler Klangfarbennuancen war. Der Schweizer Ernest Ansermet (1883–1969) war eng mit Igor Strawinsky befreundet, über seine Arbeit mit den Ballets Russes eng mit der russischen Sinfonik vertraut und hatte anno 1915 sogar die Uraufführung von Rimsky-Korsakovs “Soleil de nuit” nach der Choreographie Leonid Massines geleitet. Er war Spezialist für moderne und zeitgenössische Werke und hatte mit dem von ihm 1918 gegründeten Orchestre de la Suisse Romande ein perfekt auf seine Vorstellungen zugeschnittenes Instrument wie kaum ein anderer Dirigent zur Verfügung. Die orientalischen Phantasien von “Antar” und der “Scheherazade” gelangen ihm daher mit einer Leichtigkeit und Transparenz, die trotz der wuchtig pathetischen Passagen sich auf die Binnendifferenzierungen der einzelnen Stimmen konzentrierten. So sind die Legends-Aufnahmen nicht nur in Hinblick auf die technischen Neuerungen ein Stück Schallplattengeschichte. Sie präsentieren auch einen Rimsky-Korsakov, der wohltuend die Waage zwischen Reflexion und Emotionalität zu halten versteht. Ganz der Ansermet eben, wie ihn die Musikwelt liebte.