Zu Recht zählt I Fagiolini heute zu den erfolgreichsten Vokalensembles der Welt. Von Robert Hollingworth 1986 in Oxford ins Leben gerufen, hat sich der Chor in erster Linie durch meisterhafte Interpretation Alter Musik einen Namen gemacht. Für das neue Album “Amuse-Bouche” hatte er nun Appetit auf einen musikalischen Leckerbissen anderer Art.
Die Delikatessen französischer Chormusik sind eine Hommage an den Genuss. So wird gleich als Aperitif eine besondere Gaumenfreude gereicht: Francis Poulencs (1899–1963) melancholisches Werk Hôtel, dass treffenderweise mit den Worten endet: “Ich zünde meine Zigarette mit dem Feuer des Tages an. Ich möchte nicht arbeiten, ich möchte rauchen.” Durch dieses Bekenntnis in die richtige Stimmung versetzt, erwartet uns als erster Gang eine wahre Rarität: Die Ersteinspielung von Jean Françaix' (1912–1997) zwölfstimmiger Ode à la Gastronomie, die den kulinarischen Genüssen ein musikalisches Denkmal setzt. “Dieses Stück handelt von der gesamten Kultur, die die Franzosen um das Essen entwickelt haben,” berichtet Robert Hollingworth. Da verwundert es nicht, dass die Musik ernsthaft und augenzwinkernd zugleich ist. “Häufig steht komische Musik ganz im Dienste des Textes,” erklärt der Dirigent. “Hier aber gibt es reiche, dichte Harmonien, die sehr kompliziert und subtil sind.”
Nicht weniger anspruchsvoll gestaltet sich das zweite Hauptwerk der Zusammenstellung. Auch bei der Vertonung des biblischen Hohelieds von Jean-Yves Daniel-Lesur (1908–2002) geht es um den Genuss, wenn auch weniger kulinarisch. Le Cantique des Cantiques beschreibt auf hinreißende Art den Dialog zweier Liebenden, der von knisternder Intimität bis hin zu flammender Leidenschaft reicht. “Ich kenne kein anderes Chorwerk aus dem 20. Jahrhundert, das schöner konstruiert ist und die Mühe der Interpreten derart reich entlohnt,” schwärmt Hollingworth. Von einem ähnlich erotischen Geist sind die Sept Chansons von Francis Poulenc durchwirkt, in denen Süße und Bitterkeit der Liebe bejubelt und beklagt werden. Deutlich düsterer klingt hingegen seine Kammerkantate Un Soir de Neige von 1945, in der er Gedichte der Kriegszeit vertont. Dadurch bilden sie einen starken Kontrast zu Darius Milhauds (1892–1974) Deux Poèmes für Gesangsquartett, die das sonnig-sanfte Leben auf der Karibikinsel Guadeloupe besingen.
Um die Übergänge der einzelnen Titel auf diesem abwechslungsreichen Album abzurunden, fügt die preisgekrönte Pianistin Anna Markland mit Erik Saties (1866–1925) Gnossienes kleine Intermezzi zwischen die größeren Vokalwerke, bevor sie gemeinsam mit dem Chor das große Finale präsentiert: “Ich wollte unbedingt etwas von Maurice Ravel (1875–1937) aufnehmen” erinnert sich Robert Hollingworth. “Und so kam mir der Gedanke, dass wir den langsamen Satz aus seinem Klavierkonzert in G-Dur für Klavier und Stimmen arrangieren könnten. Das hat Roderick Williams für uns eingerichtet, und wir haben die Gesangspartien mit französischen Texten unterlegt.”
Liebe geht bekanntlich durch den Magen. Und wenn es eine so starke Liebe ist wie die, die Robert Hollingworth für die französische Musik des frühen 20. Jahrhunderts hat, dann verwundert es nicht, dass alle Gaumenfreuden der “Amuse-Bouche” so luftig-leicht auf der Zunge zergehen wie ein Soufflé.