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Jessye Norman
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"Sie war ein Wunder, ein Gesamtkunstwerk und eine Hohepriesterin des Gesangs" - Trauer um Opernlegende Jessye Norman

Jessye Norman
© Christian Steiner / DG
01.10.2019

Das erste Mal begegnete ich Jessye Norman bei einem Konzert im damaligen Schauspielhaus Berlin, heute Konzerthaus Berlin. Ihr eilte der Ruf einer sehr individuellen und durch und durch kontrollierten “Performance-Künstlerin” voraus und ich wartete mit Spannung auf mein erstes “Jessye Norman-Erlebnis”. Und am Ende dieses für mich unvergesslichen Abends war ich ihr Jünger. Auf dem Programm standen Werke von Joseph Haydn, Alban Berg, Georg Friedrich Händel und Gustav Mahler. Aber das war nebensächlich: was zählte war die Frau, ihre Aura, ihr Charisma und die schiere Klangschönheit ihrer Stimme. Dunkel, exotisch und erotisch. Und ihr unglaubliches Verständnis für die Bedeutung des gesungenen Wortes. Unvorstellbar für mich, dass sich irgendjemand dieser bezwingenden Mixtur entziehen könnte!

Jahre später, mittlerweile unerschütterlich Jessye Norman-auftrittserprobt geworden, fiel mir das große Los zu, mit ihr und für sie zu arbeiten. Unsere erste professionelle Begegnung ähnelte dann auch eher einem vorsichtigen Herantasten als einem überschwänglichen Kennenlernen: sie, gewohnt, von Fans in quasi Anbetung um- und belagert zu werden, traf auf mich, dem jedwede Art adorierender Heldenverehrung nicht nur suspekt, sondern schlichtweg unerträglich war und ist. Es brauchte eine Weile, ehe wir miteinander “warm wurden” und es blieb für alle weiteren Begegnungen bei dem distanzierten, aber von gegenseitigem Respekt getragenen Verhältnis. Ich weiß nicht, was sie in mir sah, ich aber sah in ihr eine groß- und einzigartige Künstlerin, die es verstand, mit einer Bewegung ihres kleinen Fingers, mit der fast unmerklichen Drehung ihres Kopfes, mit dem triumphierenden Ausdruck ihres schönen Gesichts am Schluss eines Liedes den soeben erlebten Moment großen Musizierens für einige Sekunden länger zu bewahren.

Vieles von dem kann man in ihren Aufnahmen spüren, den großen Atem ebenso wie die scheint’s unfehlbare Interpretation. Wenn dennoch ein kleines Aber bleibt, ist es der Unmittelbarkeit des Erlebens geschuldet, etwas, das der reine Ton nur bedingt, die Kombination aus Ton UND Bild indessen nacherleben lassen kann. Und so gehören neben den nachgerade überirdisch schön gesungenen Vier letzten Liedern von Richard Strauss mit dem Gewandhausorchester Leipzig und dem berührenden Schlussgesang der Dido “When I am laid in earth” aus Purcells Oper “Dido and Aeneas” vor allem ihre im Video festgehaltenen Auftritte im Festkonzert aus Notre-Dame, als Iokasta in Strawinskys “Oedipus Rex” und als Sieglinde in der MET-Produktion von “Die Walküre”. Und es ist dieses “Oh hehrstes Wunder…” aus dem 2. Aufzug, welches Jessye Norman kongenial umschreibt: sie war ein Wunder, ein Gesamtkunstwerk und eine Hohepriesterin des Gesangs. Möge sie im Sängerolymp im Kreise ihresgleichen glänzen wie sie es auf Erden getan hat.

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