Aus heutiger Sicht kann die Handlung von “Il Re Pastore” in den Hintergrund treten. Der Stoff gehörte zur Zeit der Komposition bereits zu den bühnentraditionellen Allgemeinplätzen und diente vor allem dazu, den Tugenden der habsburgischen Monarchie zu huldigen. Musikalisch jedoch ist die späte Jugendoper Mozarts ein Meisterstück der Variationskunst. Denn auch wenn sich der Komponist auf den ersten Blick nicht von den Vorgaben seiner Zeit zu entfernen scheint, so gleicht doch keine Arie der Oper formal einer anderen des Stücks. Vielmehr scheint es für Mozart eine besondere Herausforderung gewesen zu sein, mehr als nur Konvention zu bieten – was “Il Re Pastore” zu einem bis heute attraktiven Bühnenwerk macht.
Der Schäfer war ein Topos des literarischen Rokokos, der seine Ursprünge bereits in der Renaissance hatte. Man stellte ihn sich als naturnahen, bedürfnislosen und friedlichen Menschen vor, als eine Art humanes Ideal in reizvoller Umgebung, auf den allerlei Sinnfälliges und Philosophisches projeziert werden konnte. Von der Anakreontik bis zur arkadischen Dichtung geisterte er als Typus durch Lyrik und Theatralik und inspirierte immer wieder die Poeten, aus ihm und seinem sematisch-anekdotischem Umfeld Geschichten zu entwickeln. Auch Pietro Metastasio (1698–1782) war mit dem Themenkomplex vertraut und verarbeitete ihn in verschiedenen Libretti. Da er einer der beliebtesten und renommiertesten Bühnendichter seinen Zeit war, konnte man sicher sein, dass seine Behandlungen der Schäfer-Motivik, vor allem in Verbindung mit dem Herrscherlob, weit verbreitet wurden. Die Vorlage zu Mozarts “Il Re Pastore” stammte daher bereits aus dem Jahre 1750/1 und war erstmals 1751 in der gleichnamigen Oper des Hofkomponisten Giuseppe Bonno in Schönbrunn uraufgeführt worden. Seitdem wurde die Thematik mehrfach wieder aufgenommen, von München bis Venedig und Koryphäen wie Christoph Willibald Gluck oder Pietro Allessandro Guglielmi. Als der 19jährige Mozart von seinem Salzburger Dienstherrn, Erzbischof Hieronymus Graf Colloredo, den Auftrag erhielt, eine Serenade, also eine Oper weitgehend ohne szenisches Geschehen zu Ehren des Erzherzogs Maximilian Franz zu komponieren, der während einer Reise nach Italien in Salzburg Station zu machen gedachte, konnte er davon ausgehen, das Stoff und Libretto weitgehend bekannt waren.
Wie so oft, stand Mozart unter Zeit- und Konkurrenzdruck. Die Auftragserteilung fand nur wenige Monate vor Ankunft des Monarchen im April 1775 in Salzburg statt und die kurze Oper sollte zusammen mit einem ebenfalls extra bestellten Werk des Salzburger Hofkomponisten Domenico Fischietti aufgeführt werden. Der junge Mann ließ sich davon aber nicht beirren, sondern stellte sich geschickt auf die vorhandenen Ressourcen ein. Seine Serenade hatte ebenso viel tragende Figuren wie das Werk seines Konkurrenten, und das in den gleichen Lagen. Er konnte sich auf den souveränen Münchner Kastraten Tommaso Consoli verlassen, der die Rolle des Schäfers Aminta übernahm, und sogar davor ausgehen, dass der herrschaftliche Gast den Plot – Schäfer ist Königssohn, stellt die Liebe entgegen der Staatsraison über die Pflichten, wird aber letztendlich als tugendhafter, treuer Mensch zum natürlichen, damit idealen Regenten – kannte, da dieser eine frühere Vertonung des Librettos bereits in Venedig gesehen hatte.
So konnte er sich ganz auf die musikalische Ausformung konzentrieren und schuf ein kompaktes, klar strukturiertes und in sich stimmiges Bühnenstück, das nach den Opera seria “Mitridate” (1770), “Ascanio in Alba” (1771) und “Lucio Silla” (1772) seine Reihe mit Jugendopern abschloss. John Cox inszenierte “Il Re Pastore” 1989 für das Salzburger Landestheater im historischen Stil als Mischung barocker Bühnenpracht und serenadenhafter Reduktion. Angela Maria Blasi sang die Rolle des Schäfers Aminta, Sylvia McNair mimte dessen Geliebte Elisa, Jerry Hadley den Regenten Allesandro, Claes H. Ahnsjö den vernünftigen Adlatus Agenore und Iris Vermillion dessen Angebetete Tamiri. Besonderen Reiz jedoch bekam die Inszenierung durch die Mitarbeit des Kammerorchesters Academy of St. Martin in the Fields unter der Leitung von Neville Marriner, der als profunder Mozartkenner und Spezialist für historische Aufführungspraxis für den passenden Klangrahmen sorgte. So präsentiert die DVD-Aufnahme der Salzburger Vorstellung einen adäquaten Zugang zu dem selten gespielten Mozart-Werk auf höchstem Niveau, das neben dem Stereo-Effekt noch zusätzlich im DTS Digital 5.1 Surround Sound genossen werden kann.