Ohne Sir Neville Marriner wäre Englands Musikleben ärmer. Denn seit mehr als vier Jahrzehnten trägt er als Leiter und Vordenker der Academy of St Martin in the Fields nachhaltig zum Verständnis und zur Verbreitung klassischer Musik bei. Am 15. April 2004 feierte der Mann aus Lincoln seinen 80. Geburtstag. Grund genug, ihm in Form einer CD/DVD-Box mit zahlreichen Höhepunkten seiner Laufbahn zu gratulieren.
Das künstlerische Leben von Sir Neville Marriner ist sehr eng mit dem Kammerorchester Academy Of St Martin in the Fields verwoben. Doch es begann zunächst unabhängig davon. Marriner studierte am Royal College of Music in London und wurde als begabter Geiger in die Violinklasse von René Benedetti aufgenommen. Bis 1948 verfeinerte er seine Kenntnisse in Eaton, wurde dann 2.Geiger des Martin Quartetts und gründete das Jacobean Ensemble. Bald unterrichtete er selbst am Royal College und bildete sich bei Pierre Monteux in Orchesterleitung weiter. Marriner bewährte sich, wurde Violinist beim Philharmonia Orchestra in London, 1956 dann Chef der zweiten Geigen beim Londoner Symphonie-Orchester (bis 1968). In diese Zeit fiel auch die Gründung des Ensembles, das seine künstlerische Arbeit beeinflussen und verändern sollte. Es fing damit an, dass der Organist John Churchill anno 1958 Neville Marriner beauftragte, ein Orchester zusammenzustellen, das den Namen der musikgeschichtlich berühmten Kirche am Trafalgar Square tragen sollte. Seine Wahl war gut, denn der erfahrene Kammermusiker und Konzertmeister hatte etwas Besonderes im Sinn. Er wollte ein großes Ensemble mit transparentem Klang schaffen, dessen Beteiligte sich nicht dem Diktat exzentrischer Dirigenten unterwerfen, sondern gleichberechtigt an der Erarbeitung der Werke teilhaben sollten. Marriner ging es um die Authentizität des Klanges, musikhistorisch fundiert und möglichst genau mit Gleichgesinnten umgesetzt.
In der Spielzeit 1958/59 debütierte das junge Orchester in seiner namensgebenden Kirche mit fünf Konzerten, mehrere Rundfunksendungen folgten. Als die Musikverlegerin Louise Hanson-Dyer kurz darauf ein für die BBC entstandenes Demoband der Academy in die Hände bekam, erkannte sie dessen Potential und verpflichtete das Ensemble für ihr Label L’Oiseau-Lyre. Schon die ersten Aufnahmen wurden von der Presse überschwänglich gelobt. Allerdings beendete 1962 der Tod Hanson-Dyers der ersten Aufstieg von Marriners Projekt. Immerhin, es folgten die Zeit bei Argo/Decca, akustisch hervorragende Aufnahmeräume wie die Kingsway Hall und nicht zuletzt ausgezeichnete Tontechniker wie Kenneth Wilkinson und Stan Goodall, die durch clevere Mikrofonaufstellungen maßgeblich der Klang der Archivalien beeinflussten. So gingen inhaltliche Sorgfalt, technische Raffinesse und künstlerische Entwicklung Hand in Hand. Die Academy avancierte unter Marriners Leitung mit ihren Alben und Konzerten zu einem der renommiertesten Kammerensembles der Welt. Sie wurde zum Sinnbild größtmöglicher Natürlichkeit und Direktheit des Klangs, zur Referenz adäquater Tongestaltung mit historischem Bewusstsein.
Und darüber hinaus hinterließ Marriner auch an anderen Orten seine Spuren. Von 1969 an war er Musikdirektor des Kammerorchester von Los Angeles (bis 1979), nebenbei stellvertretender Leiter des Northern Sinfonia Orchestra (1971–73), Musikdirektor des Orchesters von Minnesota (1979–86) und Chefdirigent des Symphonie-Orchesters des Süddeutschen Rundfunks (1986–89). Aus der Vielfalt dieses umfangreichen musikalischen Engagements wurde nun eine Destillat auf 3 CDs zusammengestellt, das neben zahlreichen berühmten Aufnahmen auch zwei bislang international unveröffentlichte Stücke, Wagners “Siegfried Idyll” und Walton’s “Sonata for Strings”, enthält. Eine zusätzliche DVD präsentiert Marriner und die Academy außerdem mit zwei beliebten Kompositionen für Kammerorchester, Tschaikowskis “Streicherserenade” und Griegs “Holberg Suite”. Ein stilvolles Präsent für Liebhaber des gepflegten, historisch adäquaten klassischen Klangs.