Obwohl der Name Johann Sebastian Bach in unserem kulturellen Bewusstsein und im lebendigen Konzertbetrieb bis heute fest verankert ist, genießt ein wesentlicher Teil seines Werks, die Kantaten, einen eher geringen Bekanntheitsgrad, und kaum jemand kann wohl von sich behaupten, auch nur annähernd alle zu kennen. Bach schrieb im Lauf seines Lebens mehr als 300 Kantaten, von denen heute zwei Fünftel als verloren gelten. Ihr Schattendasein verdankt sich der ursprünglichen Zweckgebundenheit ihrer Entstehung und Aufführung. Denn die Chorwerke waren in der Regel sakralen Gehalts, für den engeren Hörerkreis der Kirchengemeinde bestimmt und seltener für ein weltliches Konzertpublikum; eine Dichotomie, die sich bis in unsere Tage erhalten hat: Bachkantaten im Konzertsaal sind eine Seltenheit. Gotteshäuser haben heute zudem nur selten die Kapazitäten, diese regelmäßig aufzuführen.
Die Instrumentalsätze
Dabei kann die große Mehrheit der Kantaten ganz losgelöst von ihrem ursprünglichen Zweck genossen und gewürdigt werden. Nicht zuletzt, weil Johann Sebastian Bachs Kantaten-Werk auch eine Reihe rein instrumentaler Kompositionen beinhaltet, deren Qualität populäreren Werken wie den Brandenburgischen Konzerten zuweilen in nichts nachsteht. Überdies sind nicht wenige der Instrumentalsätze aus dem Material bereits bestehender Kompositionen von der Hand des Meisters gewonnen, wie etwa die sich auf die Partita für Violine BWV 1006 beziehende Sinfonia aus Kantate 29 oder die Sinfonia aus Kantate 174, eine Adaptation des ersten Satzes des Dritten Brandenburgischen Konzerts. Und schließlich ist die Gefühlswelt der barocken Affektensprache Bachs durchaus nicht exklusiv sakraler Natur, sondern universal verständlich.
Überblick dank Accademia Bizantina
Johann Sebastian Bach hat seinen Kantaten instrumentale Einleitungssätze als Alternative zum Eingangschor nur gelegentlich vorangestellt. Musikhistoriker nehmen an, dass zu den denkbaren Beweggründen beispielsweise der Besuch eines berühmten Instrumentalisten zählen könnte, für dessen Beteiligung an der Aufführung einer Kantate Bach einen eigenen Instrumentalpart geschrieben oder angepasst hat. Die sporadische Verteilung von Instrumentalsätzen über das weitgehend unbekannte Kantaten-Schaffen Bachs erschwert einen Überblick über dieses an formaler Freiheit und instrumentationstechnischer Vielfalt reiche musikalische Vermächtnis. Dankenswerterweise legt Decca nun die Einspielung “Sinfonia” des Ensembles Accademia Bizantina unter der Leitung von Ottavio Dantone vor. Sie enthält nahezu alle instrumentalen Sätze der Bachkantaten in Form von Sinfonias, Concertos und Sonatas. Das Ensemble gilt als einer der weltweit führenden Klangkörper der historisch informierten Aufführungspraxis und ist auch für seine enge Zusammenarbeit mit Countertenor Andreas Scholl bekannt, die man zuletzt 2010 auf dessen Purcell-Projekt “O Solitude” hören konnte.