Als er 1964 bei den Berliner Philharmonikern debütierte, war er 21 Jahre alt. Damals setzte er sich entspannt an den Flügel und spielte mit schier unfassbarer Coolness Bartóks Erstes Klavierkonzert. Publikum und Kritik staunten nur, mit welchen Fähigkeiten dieser junge Pianist gesegnet war. Sie sollten in den kommenden Jahrzehnten noch oft staunen, wenn sie Barenboim auf der Bühne erlebten.
Unterdessen entwickelte sich der vielseitig begabte Musiker zu einer der charismatischsten Künstlerpersönlichkeiten der Gegenwart, der nicht nur als Klaviervirtuose für Aufsehen sorgte, sondern auch als Dirigent, kulturpolitischer Ideengeber und engagierter Intellektueller.
Jetzt feiert der Maestro seine 60-jährige Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern und krönt das Jubiläum mit einem bewegenden Album, das ihn als intimen Kenner der französischen Orchestermusik ausweist.
Daniel Barenboim war als Nachfolger von Georg Solti 13 Jahre lang Chefdirigent beim Orchestre de Paris. Die Zeit in Frankreich hat ihn tief geprägt. Er entwickelte damals ein Gefühl für den spezifischen französischen Ton in der Orchestermusik. Die Mischung aus tiefem Ernst und formvollendeter Eleganz, aus Innigkeit, gepaart mit steter Tanzbereitschaft, kam seinem Temperament entgegen. Barenboim genoss es seit jeher, emotionale Tiefen zu durchmessen, ohne sich dabei zu versteifen.
Der Dirigent verfügt über eine natürliche Eleganz, die es ihm gestattet, selbst tief melancholischer Musik eine gewisse Leichtigkeit abzugewinnen. Diese Begabung bewährt sich in besonderer Weise auf seinem neuen Album, das mit Francks Sinfonie in d-Moll und Faurés Orchestersuite aus der Bühnenmusik zu Maeterlincks Theaterstück “Pelléas et Mélisande” zwei Klassiker der französischen Orchestermusik versammelt, denen ein entspannt fließender Ton bereits kompositorisch eingezeichnet ist.
Die scharfen Konturen im Klang der Berliner Philharmoniker wirken da zunächst wie ein Kontrastprogramm. Doch Barenboim weiß die bezwingende Klarheit in der Artikulation, die dieses Weltklasse-Orchester auszeichnet, zu nutzen, um die differenzierte Schönheit und Originalität der Harmonien von César Franck und Gabriel Fauré darzustellen.
In Faurés Orchestersuite imponieren die impressionistischen Stimmungslagen, die Barenboim farbenreich herausarbeitet. Für Albrecht Mayer an der Oboe und Emmanuel Pahud an der Flöte sind die feinen Schattierungen der Berliner Philharmoniker eine ideale Basis, um ihre jeweilige solistische Klasse zur Geltung zu bringen. Bei Franck fesselt das romantische Pathos, die große Geste, vor der Barenboim nie Angst hatte und der er als passionierter Wagnerianer Gestalt zu verleihen weiß.
Barenboim war schon als Kind überwältigt vom Klangbild der Berliner Philharmoniker. Später prägte er das Orchester, dessen Ehrendirigent er seit 2019 ist, jahrzehntelang. Mit seinem neuen Album hat er seiner reichhaltigen Diskografie mit dem renommierten Klangkörper von der Spree eine weitere Kostbarkeit hinzugefügt.