Er war ein musikalischer Zauberer. Er konnte Landschaften, Dörfer und das Leben seiner böhmischen Heimat in Klänge verwandeln. Nicht jeder ernste Komponist hat ein offenes Ohr für seine Heimatkultur. Manch einer muss sich sogar von ihr abwenden, um seinen Stil zu finden. Nicht so Antonín Dvořák. Für ihn war die böhmische Tradition der natürliche Humus, mit dem er nicht nur seine Lieder, sondern auch seine größeren Werke nährte. So erblüht selbst noch in seinen vielschichtigen Sinfonien und Konzerten das Leben der einfachen Leute. Ihre Freude, ihre Melancholie, ihre Tanzbereitschaft und unbedingte Hingabe ans Leben – all dies hört man, wenn man sich seiner rhythmisch furiosen und melodisch satten Klangkunst anschmiegt.
Dabei kommt einem alles so natürlich vor. Einfache tänzerische Elemente wie Polka oder Furiant fügen sich nahtlos in das feine Gewebe von Dvořáks hochkomplexer Kompositionskunst ein. Und wie schwierig ist gerade das Einfache in der Kunst! Wie viel natürliche Anlage ist nötig, um es zum Klingen zu bringen! Und so stellt es einen Glücksfall dar, dass mit Jiří Bělohlávek und den Tschechischen Philharmonikern ein romantisch versierter Dirigent und ein natürlich klingendes Orchester das Mammutprojekt einer Einspielung sämtlicher Sinfonien und Konzerte Antonín Dvořáks in Angriff genommen hat.
Dass sich dem gerade ein tschechisches Orchester widmet, dürfte bei kaum einem anderen Komponisten eine so große Rolle spielen wie bei Antonín Dvořák. Die republikanische Begeisterung hört man der Aufnahme denn auch regelrecht an. Man darf nicht vergessen, dass das heutige Tschechien ein sehr junger Staat ist. Es ist kaum mehr als 20 Jahre her, da entstand diese Republik aus einer sagenhaft mutigen Revolution. Gefühle wie Schmerz und Erlösung liegen einem Volk, das Jahrzehnte lang unter dem Joch einer Diktatur lebte, in den Knochen, und es ist gerade dieser Erfahrungsreichtum, der Dvořáks Musik jetzt auf berührende Weise zum Klingen bringt. In diesen Zusammenhang gehört auch die musikalische Wiederbelebung des Prager Rudolfinums, eines altehrwürdigen Konzert- und Galeriegebäudes am rechten Ufer der Moldau. Hier waltete Dvořák selbst schon seines Amtes. Der prächtige Konzertsaal ist berühmt für seine feine Akustik. Und hier sind die Aufnahmen realisiert worden!
Last but not least Jiří Bělohlávek. Wie Dvořák selbst ein Wanderer zwischen den Welten, hat er gerade durch seine Auslandsaufenthalte die emotionale Verbindung zu Tschechien wieder hergestellt und erneuert. Und diese Fähigkeit, die Spannung zu halten und sich zu erneuern, ist ja auch Dvořáks große Qualität. Jeder kennt die ergreifenden Melodien der 9. Sinfonie (“Aus der Neuen Welt”), die er in Amerika komponierte. Darin verarbeitete er amerikanische Folk Music und erweiterte so seinen Melodienfundus. Bei Jiří Bělohlávek erklingt das Werk jetzt in erneuerter Pracht. Andere Sinfonien sind unbekannter, aber wenn man sie jetzt alle hört, dann ist man überwältigt von dem Melodienreichtum. Die Konzerte wiederum, in denen man die betörende amerikanische Cellistin Alisa Weilerstein (Cellokonzert in h-Moll), den flinken Geiger Frank Peter Zimmermann (Violinkonzert in a-Moll) und den virtuosen Pianisten Garrick Ohlsson (Klavierkonzert in g-Moll) hören kann, zeugen von dem hohen gesanglichen Kompositionsgefühl Dvořáks, das ihn ja auch später als Opernkomponist auszeichnen sollte. Und dass die Aufnahmen auch in HD-Qualität vorliegen und Mastered for iTunes aufgenommen wurden, ist das i-Tüpfelchen dieser im Übrigen äußerst preiswerten Edition.