Experten und Opernfans sind sich einig: Luciano Pavarotti mag mit den drei Tenören zwar den größten Ruhm seiner langen Laufbahn errungen haben, die besten Jahre als Sänger indes hatte er in den späten 1960er bis mittleren 1970er Jahren. Die teils fantastischen Begrifflichkeiten, die Menschen herangezogen haben, um der damaligen Wirkung des Sängers, den man seinerzeit als “König der hohen Cs” titulierte, Ausdruck zu verleihen, wären einer eigenen semantischen Abhandlung würdig.
Genügen soll an dieser Stelle eine besonders eindrückliche Beschreibung, die Jürgen Kesting zu verdanken ist. Der Autor des Standardwerks “Die großen Sänger” schrieb in seinem FAZ-Nachruf auf den 2007 verstorbenen Startenor über dessen Glanzjahre: “Ein ausgestorben geglaubter Sängertypus war zurückgekehrt: der elegante, jünglingshafte romantische Tenor mit dem strahlenden und sexuell ambivalenten Klang des erotischen Knaben; der Sänger der schwärmerischen Empfindungen und der stratosphärischen Höhenflüge, in denen sich Arturo in Bellinis ‘I Puritani’ ergeht.”
Es ist ein Glück, dass Pavarottis lyrischer Tenor in seiner ganzen jugendlichen Pracht in einer Reihe exzellenter Aufnahmen dokumentiert wurde. Und zwar von der britischen Decca, einer damals wie heute Maßstäbe in der Aufnahmetechnologie setzenden Plattenfirma, die den Ausnahmesänger ab 1964 bis zum Ende seiner Laufbahn als exklusiver Vertragspartner begleitete. Aus Anlass des 50. Jubiläums dieser einzigartigen Partnerschaft veröffentlicht das Klassiklabel nun mit “Pavarotti Edition: The First Decade” (dem Auftakt einer dreiteiligen Pavarotti-Gesamtausgabe) alle bis einschließlich 1974 produzierten Aufnahmen des Tenors in neu gemasterter Fassung.
Das Gutteil der 27 CDs bilden die Operngesamteinspielungen, die Luciano Pavarotti, der australische Dirigent Richard Bonynge, ein Hauptakteur des Belcanto-Revivals der Nachkriegsära, und die Koloratursopranistin Joan Sutherland gemacht haben. Das Ehepaar hatte den jungen italienischen Tenor 1963 bei einer Probe am Royal Opera House entdeckt, unter seine Fittiche genommen und für eine höchst erfolgreiche Australien-Tour verpflichtet. Sutherland gab Pavarotti mit Unterweisungen in Atemtechnik letzten vokalen Schliff. Er dankte es ihr, indem er sie als kongenialer Gesangspartner zu Glanzleistungen in umjubelten Bühnenaufführungen und den jetzt neu aufgelegten Aufnahmen von Opern Rossinis, Bellinis, Donizettis und Verdis anspornte, unter denen die der “Fille du Régiment”, in der Pavarottis legendärer neunmaliger Ansprung aufs hohe Cs für die Ewigkeit gebannt wurde, nur einen Höhepunkt darstellt.
Unter der Ägide von Herbert von Karajan, der in Pavarotti den “größten Tenor der Welt” erblickte, entstanden mit den Berliner Philharmonikern zwei Aufnahmen der Puccini-Opern “La bohème” (1972) und “Madama Butterfly” (1974), die weithin als unübertroffen gelten. Unmittelbar übertragen sie die besondere Chemie zwischen dem Tenor und Sopranistin Mirella Freni, zu der er seit Kindheitstagen in Modena eine innige Freundschaft hegte. Über Pavarottis Rodolfo schreibt Jürgen Kesting: “In keiner anderen Aufnahme – von La Fille du Régiment abgesehen – hat er freier und gelöster gesungen, in keiner mit einer reicheren Farbpalette.” Mit der Gesamtaufnahme von “Turandot” unter Zubin Mehta (1972) fehlt in dieser Sammlung auch eine hinreißende frühe Aufnahme der Arie “Nessun dorma!” nicht, die zum Markenzeichen des Tenorissimo werden sollte.
Sehen Sie hier das Video “Nessun Dorma – Luciano Pavarotti: Live in Hyde Park” auf KlassikAkzente.
Als Bonus beinhaltet die im prächtigen LP-Format ausgelieferte “Pavarotti Edition: The First Decade” eine CD mit Arien, unter denen die erst unlängst veröffentlichte Aufnahme von “Che gelida manina”, mitgeschnitten bei Pavarottis Operndebüt am 29. April 1961 im Teatro Muncipale in Reggio Emilia, besondere Aufmerksamkeit verdient. Eine Vinylfassung der ersten offiziellen Decca-Aufnahme von Pavarotti und ein reich bebildertes Booklet mit einem Essay von James Jolly runden diese Luxus-Ausgabe ab.