Die späten Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven beschäftigen Mitsuko Uchida schon seit längerem. Nachdem sie vor eineinhalb Jahren eine Aufnahme mit den Sonaten op. 109–111 präsentierte, geht sie nun einen Schritt zurück und widmet sich den vorangegangenen Pendants, die in der Chronologie die Nummer 28 und 29 tragen. Die Vorgehensweise der umgekehrten Reihenfolge erweist sich dabei als durchaus weise, denn eine erfahrene Künstlerin wie die 58jährige japanische Pianistin schafft es in überzeugender Art, ihre Erkenntnisse aus der Arbeit mit den spätesten Klavierwerken den Komponisten auf die vorangegangenen auszuweiten – wobei sie sich deutlich davon distanziert, das Sonatenwerk als sukzessiven Zyklus zu verstehen. Und so besteht auch diese Einspielung mit faszinierender Deutlichkeit ebenso für sich allein wie im Zusammenhang von Uchidas übrigem Schaffen.
Auch ein Genius braucht Förderer. Einer der großen Bewunderer der Kunst des Wiener Klassikers war der Erzherzog Rudolph von Österreich. Ihm zu Ehren machte sich Ludwig van Beethoven ans Werk und entwarf in den Jahren 1817/18 eine Klaviersonate, die zum Namenstag des Potentaten am 17. April fertig gestellt sein sollte. Tatsächlich markierte diese “Grosse Sonate für das Hammerklavier in B-Dur, op.106” den Beginn einer weiteren späten und sehr gewichtigen Schaffensphase des Komponisten, in die unter anderem auch die “Missa Solemnis”, die “Neunte Sinfonie” und die “Diabelli-Variation” fielen. In den Skizzen des Werkes fanden sich immer wieder Anmerkungen wie “Vivat Rudolphus!” und mit der Zeit wuchs es über sich hinaus, zu einem viersätzigen Monumentalwerk, dessen Bedeutung sich Beethoven durchaus bewusst war. So bemerkte er beispielsweise in einem Brief an seinen Schüler Carl Czerny: “Jetzt schreibe ich eine Sonate, welche meine größte sein soll. Die wird den Pianisten zu schaffen machten, dass sie sie erst in fünfzig Jahren spielen werden.” Tatsächlich gehörte die “Hammerklavier-Sonate” – die ihren ungewöhnlichen Namen übrigens aufgrund Beethovens Bemühen bekam, für das italienische “Pianoforte” ein passendes deutsches Wort zu finden – während des 19.Jahrhunderts zu den “unspielbaren” Werken, an die sich gerade einmal kongeniale Interpreten wie Franz Liszt und Hans von Bülow wagten. Mit zunehmendem musikhistorischen Verständnis und angesichts der stetig steigenden Spielkompetenz findet man sie zwar inzwischen häufiger in den Konzertprogrammen wieder, auch wenn sie noch immer zu den großen Interpretationsaufgaben gehört.
Wie übrigens auch das ihr vorangegangene Werk, die “Klaviersonate Nr.28 in A-Dur, op.101”. Sie stammte aus dem Jahr 1816 und hatte im Unterschied zur op. 106, die vor allem durch Passagen wie die große Schlussfuge die Grenzen sprengt, den Teufel im Detail. Schon der Beginn, wenn sich das Thema quasi beiläufig heranschleicht, um dabei nur umso direkter zur Sache zu kommen, erfordert umfassende formale Erfahrungen des Interpreten, die schließlich über das ganze Werk hinweg vonnöten sind, um dessen zyklischen Charakter entsprechend pointiert zu arbeiten. Mit anderen Worten: Auch für jemanden wie Mitsuko Uchida legen diese beiden Meisterstücke den Maßstab hoch an, um über das Spielen an sich hinaus aus den Sonaten die passenden strukturellen Entscheidungen zu treffen. Die Pianistin erweist sich dabei als hintersinnige Interpretin, die auf ein immenses Ausdrucksinventar zurückgreifen kann, das ihr die Beschäftigung mit den großen Klavierwerken von Bach und Mozart bis hin zum Repertoire der Gegenwart ihm Laufe der Jahre mitgegeben hat. Uchidas Beethoven ist distanziert und monumental zugleich, an pathetischen Stellen abstrakt und in romantischen Strecken wiederum ungemein konkret. Es ist dieses Spiel mit den Gegensätzen, was Uchida bei den vom Komponisten bereits als Herausforderung angelegten Sonaten die Möglichkeit gibt, der Dramaturgie die nötige Stringenz zu geben und mit der Form zu experimentieren, ohne sie zu verlieren. Meisterhaft klar.