Die Reise der Pumeza Matshikiza geht weiter. Mit ihrem Debütalbum “Voice of Hope” löste die südafrikanische Sopranistin 2014 faszinierte Beifallsstürme aus. Vom bürgerkriegsartigen Kapstadt hatte die Chorsängerin und hochtalentierte Autodidaktin den Sprung aufs Royal College of Music in London geschafft, wo sie ihr Hauptrollendebüt in der Weltpremiere von Giorgio Battistellis Oper “Co2” gab. Sie sang bei den Commonwealth Games vor Millionen und ist mit Rolando Villazón aufgetreten. Seit der Spielzeit 2011/12 ist sie Ensemblemitglied der Oper Stuttgart. “Ich musste mich umstellen”, sagte Matshikiza dem SWR. Vom schnellen lauten aufregenden London in die ruhige, entspannte, menschlich “etwas verschlossene” Schwaben-Metropole – das klang auch nach einem Rückzug zu sich selbst, der begünstigte, dass die 37-Jährige sich tief in die Charaktere der Opern- und Kunstliedfiguren hineindenken und -fühlen konnte, die sie auf ihrem neuen Album “Arias” singt. Einige ihrer bisherigen Bühnenparts treffen auf andere, die sie hoffentlich noch auf die Bretter bringen wird.
Pumeza wird hier zur Mimi aus Puccinis “La Boheme” (eine ihrer Paraderollen in Stuttgart) und zur “langbeinigen, sexhungrigen Concepción mit Kupferstimme” (rezensierte der “Independent”) von Ravels “Die spanische Stunde”. Sklavin Liu in “Turandot”. Susanna in Mozarts “Le Nozze di Figaro”. Dido in Purcells “Dido & Aeneas”. Dazwischen singt sie den “Song to the Moon” aus Dvoráks Oper “Rusalka” (mit der Pumeza 2010 den Veronica Dunne-Gesangswettbewerb gewann). Beeindruckende neue Arrangements von Musikstücken der Belle Epoque – zwischen Gabriel Faurés “Après un rêve”, über Reynaldo Hahns charmantes Pastiche “A Chloris”, bis hin zu Francesco Tostis Salonmusik-Klassiker “Si tu le voulais” reichern das Album an.
Aufgenommen im Juni 2015 in Dänemark mit dem Sinfonieorchester Aarhus unter Leitung von Tobias Ringborg, stellt sich die mittlerweile gestandene Bühnensopranistin Matshikiza auf einer Studio-Aufnahme neben Kolleginnen wie Anna Prohaska oder Elina Garanca. Mit ihrem Drive und Enthusiasmus erforscht Pumeza die großen Stimmen der Vergangenheit, namentlich die von Renata Tebaldi und Edith Mathis. Den Vergleich braucht sie nicht zu scheuen, denn ihre eigene Persönlichkeit und Ausstrahlung, ihre Wurzeln sind stark.
Matshikizas Debütalbum “Voice of Hope” war ein Aufbruch von der Musik ihrer Heimat auf den europäischen Kontinent. Sie reiht dort Songs der Xhosa neben Arien von Mozart. Hat sie mit “Arias” nun die Leine losgemacht, sich endgültig für Mozart (und gegen Makeba) entschieden? Nein. Nehmen wir ihre Version von “La Paloma” auf dem Album: allgegenwärtige Schnulze, globaler Gassenhauer, in Deutschland am bekanntesten in der Version Freddy Quinns. Geschrieben zur Mitte des 19. Jahrhunderts, war diese “Habanera” der Soundtrack einer damaligen Kuba-Mode in den europäischen Metropolen. Direkt nach “La Paloma” kommt auf der CD mit dem “Punto de Habanera” ein afro-kubanisches Volkslied, das sich Matshikiza genau so glaubhaft einverleibt wie davor ihre Mimi. Ist ihr die Rolle jenes kreolischen Mädchens, das die Seemänner abblitzen lässt und ihrer Wege geht, am Ende näher als die der mittellosen Schwindsüchtigen im kalten Dachkämmerlein? In ihren Darbietungen schwinge immer auch die dramatische Geschichte der Pumeza Matshikiza mit, schrieb die “Daily Mail”: “Licht und Schatten, Trauer und Hoffnung”.
“Der Reiz einer schönen Stimme allein würde ohne völlige Hingabe an die Figur und den Text bald verfliegen”, meint der Albumproduzent Dominic Fyfe in den Linernotes von “Arias”. Matshikizas Gesang assimiliert hier durch das Album hindurch zwei ganz starke Persönlichkeiten: “Ihr echtes, offensichtlich starkes und interessantes Wesen und zugleich eine Bühnenfigur mit eigenem Leben und Charakter”, behauptet der britische Musikkritiker Michael Tanner, der sie seit ihrer Studienzeit am RCM kennt und ihre Stimme als Synthese der südafrikanischen Altmeisterin Sibongile Khumalo mit der Callas beschrieben hat. Pumezas ungewöhnlicher, dunkel glühender, obertonreicher Sopran sei “von überbordender Sinnlichkeit”. Anstatt festgefrorenene Opernstandards zu bedienen, erfindet sie die so unterschiedlichen Charaktere der Stücke neu. Ihre Reise hat gerade erst begonnen.
Am 12. Mai 2016 ist Pumeza Matshikiza zu Gast im “Morgenmagazin” im ZDF.