Renée Fleming ist eine der großen Sopranistinnen unserer Tage. Man kennt sie als Interpretin von Mozart, Strauss und Massenet, aber auch als Spezialistin für Opern des 20. Jahrhunderts. Mit “Bel Canto” präsentiert sie sich in einem anderen Fach und stellt sich in die Tradition der großen Diven. Das ist gewagt, aber es passt zu einer Sängerin, die sich nicht gerne festlegen lässt.
“Als ich mein Gesangstudium aufnahm, stand ich unter dem Eindruck, dass sich die Kunst und das Repertoire jedes Gesangskünstlers um den Belcanto drehte, denn die großen Diven jener Zeit y´ Maria Callas, Joan Sutherland, Montserrat Caballé, Beverly Sills y´ hatten sich diese Musik zueigen gemacht und ihr zu neuer Blüte verholfen. Später lernte ich natürlich, dass sich Sänger auch auf Mozart und Strauss, Barockmusik, der italienischen Verismo und Wagner spezialisieren können. Dennoch ist der Belcanto für mich auch heute noch der Inbegriff all dessen, was großartigen Gesang auszeichnet. Er verlangt eine mozartsche Linienführung und Schönheit des Tons, ein breites Register und eine feurige Koloratur. Auch stellt er den Künstler vor die Herausforderung, die oft nur schemenhaft skizzierten Charaktere durch emotionalen Tiefgang zum Leben zu erwecken”. Renée Fleming hatte daher eine große Aufgabe zu bewältigen. Sie sichtete die Geschichte ihrer Arien nach dem neuesten Stand der Forschung, kümmerte sich um Aspekte historischer Aufführungspraxis und entwickelte ein persönliches Verhältnis zu den Kompositionen.
Dabei gab es viele Besonderheiten zu beachten. An erster Stelle standen interpretatorische Details, die mit den Gestaltungsgewohnheiten der Kunstschaffenden zusammenhingen. Die italienischen Komponisten des 19. Jahrhunderts orientierten zum Beispiel ihre Werke in der Regel an den damaligen Stars der Opernhäuser. Gioachino Rossini schrieb für die spanische Sopranistin Isabella Colbran (die er später auch heiratete). Vincenzo Bellini richtete sich nach den stimmlichen Möglichkeiten von Henrietta Méric-Lalande, die wie Guiditta Pasta auch Rollen von Gaetano Donizetti übernahm. Schließlich gab es da noch Sofia Loewe, für die letzterer die Titelpartie der 1841 in Mailand uraufgeführten Oper “Maria Padilla” entwickelte. Alle zusammen bildeten die Grundlage der Darstellungsmöglichkeiten, konterkariert mit den Aufnahmen aus dem 20. Jahrhundert, zu denen sich Fleming in Beziehung setzen musste.
Doch gerade darin bestand der besondere Reiz eines Belcanto-Programmes. Denn mehr noch als andere Arien ermöglichten ihr Bellini, Donizetti und Rossini, innerhalb einer geschmacklich festgelegten Form eine weitgehende Offenheit der Interpretation, solange sie mit den emotionalen Hintergründen der Rollen in Einklang zu bringen war. Nach vielen Proben und Versuchen war Fleming endlich zufrieden mit dem, was im Dezember 1999 in der New Yorker Masonic Hall festgehalten wurde. Denn der Belcanto “ist unser Äquivalent eines Drahtseilaktes, mit hohem Risiko bei jeder Wendung. Diese Aufnahme ist meine Danksagung an die Inspiration, die mir diese Künstler und dieses glänzende Repertoire immer wieder zuteil werden lassen”. Nicht zuletzt deshalb ist “Bel Canto” ein großes Album.
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