Er spielt Klavier wie eh und je. Von Altersmüdigkeit keine Spur. Vladimir Ashkenazy scheint noch lange nicht am Ende seiner großen Karriere zu stehen.
Ein Pianist aus Leidenschaft, lebt er mit seinem Instrument, kostet jede seiner über Jahrzehnte gereiften Fähigkeiten voll aus. Doch im Alter von 80 Jahren darf man auch zurückschauen und sich an den Höhepunkten einer fulminanten Laufbahn erfreuen. Das gilt erst recht, wenn man ein musikalisches Erbe zu ordnen hat. Ein Schatz ohnegleichen wartet darauf, gehoben zu werden. Er liegt bei dem britischen Traditionslabel Decca, dem Vladimir Ashkenazy seit über 50 Jahren angehört.
Als der junge Pianist im Jahre 1963 bei Decca unterzeichnete, da ahnte wohl niemand, dass eine Weltkarriere vor ihm liegt. Zwar hatte der frühreife Tastenmagier schon mit wichtigen Preisen auf sich aufmerksam gemacht, aber dass er zu einer großen Künstlerpersönlichkeit heranreifen würde, war nicht garantiert. Decca brachte dem jungen Mann das nötige Vertrauen entgegen, und dass es sich auszahlte, beweist die überaus reiche Ernte seiner mitreißenden Aufnahmen, zu bewundern in der soeben erschienenen Mammut-Edition des großen Pianisten.
"Vladimir Ashkenazy – The Solo & Chamber Recordings" umfasst summa summarum 56 CDs, darunter etliche Aufnahmen, die erstmals auf CD verfügbar sind. Das Repertoire zeigt einen deutlich romantischen Akzent. Komponisten wie Beethoven und Schubert, Schumann und Brahms, Chopin oder Franck liegen Vladimir Ashkenazy. Hier kann er sein poetisches Feingespür genauso zur Geltung bringen wie seine geschmeidige Technik, die sein Klavierspiel stets natürlich erscheinen lässt.
Von soghafter Kraft ist das russische Repertoire. Wenn “russisch” und “romantisch” zusammentreffen, dann ist Vladimir Ashkenazy ganz in seinem Element. Komponisten wie Tschaikowsky oder Rachmaninow spielt er so zartfühlend wie leidenschaftlich. Elektrisierend modern: Scriabin. Ashkenazy liebt den heftigen Pulsschlag des avantgardistischen Russen, der noch mit einem Bein in der Romantik stand. Das gilt auch für Prokofiev, dessen Klaviersonate Nr. 7 in B-Dur Ashkenazy äußerst spannungsvoll, versetzt mit sanften Zwischentönen, interpretiert.
Aus dem erstmals auf CD erscheinenden Repertoire sticht die Klavierversion von Mussorgskys “Bildern einer Ausstellung” hervor. Erhaben klingt das, großzügig, elegant! Nicht minder überzeugend: Ravel und Debussy. Weiche und dennoch klar konturierte Linien sind eine Spezialität des russischen Pianisten. Ihre Attraktivität verdankt die neue Edition aber auch dem Umstand, dass der Pianist selbst das Repertoire ausgewählt hat und neben der Solo-Literatur auch famose Kammermusik und Liedkunst erklingt.
So hört man die große schwedische Sopranistin Elisabeth Söderström Tschaikowsky und Rachmaninow singen, und gemeinsam mit dem israelischen Ausnahmegeiger Itzhak Perlman interpretiert Vladimir Ashkenazy Kammermusik von Ravel und Debussy. Als wäre dies alles nicht genug, wartet die limitierte Edition auch noch mit einem Hardcover-Buch auf, das einen glänzenden Essay von Jed Distler enthält. Dass die CD-Hüllen den Covern der Ersterscheinungen nachempfunden sind, ist das i-Tüpfelchen eines prächtigen Künstlerportraits.