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Entfesselter Prokofiev – Janine Jansen spielt Violinwerke von Sergei Prokofiev

Janine Jansen
© Harald Hoffmann
12.10.2012
Mit der im Januar 2012 angelaufenen Konzertreihe “Prokofiev: Man of the People?” forderte Dirigent Vladimir Jurowski die weitverbreitete Ansicht heraus, Sergei Prokofiev sei aus Gründen der Eitelkeit ins stalinistische Sowjetrussland zurückgekehrt – um den Preis seiner künstlerischen Authentizität. “Offenbar können wir ihm den Mangel an existenzieller Angst in seinen schillernd schönen Partituren nicht verzeihen. Das Urteil der Größe, wie wir es Schostakowitsch zusprechen, dessen Zorn uns angemessen erscheint, versagen wir Prokofiev“, so Helen Wallace vom BBC Music Magazine. Doch Prokofievs Stil, so Jurowskis These, habe bereits lange vor der Rückkehr des Komponisten in die Sowjetunion die große Eleganz, den verschwenderischen melodischen Reichtum und die offene Zugänglichkeit von neo-romantischen Schöpfungen wie “Romeo und Julia” und “Peter und der Wolf” gezeigt. “Prokofiev suchte nach neuen Wegen zu einer Musik, die nicht intellektuell, doch intelligent, komplex, doch zugänglich war”, erklärt Jurowski.

“Unvergleichliche Form”

Eine ideale Interpretin für die Suche nach Prokofievs “verwundbarer Seele hinter der Fassade“ verpflichtete Jurowski mit Janine Jansen. Die niederländische Stargeigerin spielte das Zweite Violinkonzert in g-moll, Op. 63 des Komponisten im Rahmen der Konzertreihe mit dem London Philharmonic Orchestra Anfang Februar. Die Times bewunderte in ihrer Konzertkritik Jansens “unvergleichliche Form” und lobte “eine Spielerin, der man folgt, wohin auch immer sie uns führen mag”. Beflügelt vom Erfolg des Auftritts in der Royal Festival Hall versammelte sich das Traumteam Jansen, Jurowski und London Philharmonic Mitte Juni erneut im Aufnahmestudio, um eine außergewöhnliche Version der für den französischen Geiger Robert Soetens geschriebenen und kurz vor Prokofievs Rückkehr aus dem westlichen Exil vollendeten Komposition festzuhalten. Jansens geschmeidige Ausführung des sublimen langsamen Satzes unterstreicht, wie nahe die Musik der Welt in Prokofievs Ballett “Romeo und Julia” steht, die Gestalt anzunehmen begann, während er am Zweiten Violinkonzert arbeitete.

Essenzielles Prokofiev-Erlebnis

Ebenfalls für Soeten und den amerikanischen Geiger Samuel Dushkin schrieb Sergei Prokofiev 1932 in Saint Tropez die Sonate für zwei Violinen in C-Dur, Op.56. Den Anstoß zum Werk gab die negative Hörerfahrung eines misslungenen Geigenduetts. “Schlechte Musik anzuhören, regt manchmal gute Ideen an”, bemerkte der Komponist lakonisch. “Mir kam der Gedanke, dass man ein solches Duett trotz seiner Limitationen interessant genug machen könnte, um es sich zehn bis fünfzehn Minuten lang anhören zu können, ohne seiner müde zu werden.” Strotzend vor Einfallsreichtum, fesselt diese Sonate durch den tief empfundenen Lyrizismus des einleitenden Andante cantabile und die zarte Schlichtheit des dritten Satzes. Vor der Kulisse des entfesselten stalinistischen Terrors begann 1938 Prokofievs Arbeit an der Ersten Violinsonate in f-moll, Op. 80. Das seltener gespielte Werk, eines der dunkelsten und grüblerischsten des Komponisten, scheint die brutale Lebenswirklichkeit in Stalins Sowjetreich einzufangen. Mit dem gespenstischen Klang der eng am Geigensteg gespielten Skalenläufe am Ende der Außensätze soll, so erklärte Prokofiev einmal, “über einen Friedhof wehender Wind” hörbar gemacht werden. Janine Jansens Interpretationen beeindrucken durch Spontaneität, Sensibilität und reiche Klangfarbennuancen. Die Ausnahmegeigerin schafft mit ihrer neuen CD ein essenzielles Prokofiev-Erlebnis.
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