In der Musik von Leoš Janáček mischen sich tschechische Folklore mit Stilelementen der Moderne, detailreichen Motiven und berührenden Melodien zu seinem ganz eigenen unverkennbaren Stil, der der tonalen Ästhetik dabei stets treu bleibt. Jiří Bělohlávek ist unmittelbar vor seinem Tod 2017 noch einmal gemeinsam mit den Musikern der Czech Philharmonic in Leoš Janáčeks Klanguniversum eingetaucht und hat anhand von vier zentralen Werken ein Komponistenporträt geschaffen, das ein umfassendes Gefühl für die tschechische Musikkultur vermittelt.
Insbesondere gegen Ende seiner Lebens- und Schaffenszeit sind die erfolgreichsten Werke von Leoš Janáček entstanden. Vor allem im Jahr 1926 strotzte der Komponist nur so vor kreativer Energie und schrieb mit 72 Jahren nicht nur die beliebte Oper “Das schlaue Füchslein”, sondern auch die auf dem Album enthaltene “Sinfonietta” und die “Glagolitische Messe”, deren acht Sätze er innerhalb weniger Wochen zu Papier brachte und die bis heute zu den wichtigsten Werken der geistlichen Musik gehört.
Die Messe ist das zentrale Werk auf dem Doppelalbum und stilistisch so außergewöhnlich, dass es sich lohnt, nicht nur die Ohren zu spitzen, sondern auch einen Blick auf die Entstehungsgeschichte zu werfen. Sprachlich wählte Janáček für seine “Mša glagolskaja” statt Latein die glagolitische Schriftsprache aus dem 9. Jahrhundert und fügte der Partitur erklärend hinzu: “Ich will den Menschen zeigen, wie man mit dem lieben Gott zu reden hat.” So spiegelt die energiegeladene und von einer positiven Grundstimmung durchdrungene Komposition seinen persönlichen Blick auf Kirche und Religion wider und zeugt dabei von einer selbstbewussten Reflektion, die ganz ohne Demut und Unterwürfigkeit auskommt. Vor seinem Tod 1928 konnte Leoš Janáček nicht mehr alle komplexen Visionen in seinem Werk umsetzen, so dass heutzutage nach mehreren musikwissenschaftlichen Rekonstruktionen verschiedene Fassungen vorliegen. Jiří Bělohlávek hat der Musik als Chefdirigent am Pult der Czech Philharmonic vor einem exzellenten Solistenensemble und dem Prague Philharmonic Choir mit viel Sinn fürs Detail authentischen und historisch informierten Feinschliff verpasst und eine grandiose Einspielung kreiert, die ihn erneut als Klassik-Legende seiner Heimat und Spitzeninterpret für tschechische Musik ausweist.
Der erste Satz der “Sinfonietta” ist ursprünglich im Auftrag des tschechischen Sportvereins “Sokol” entstanden, für den Janáček 1926 eine festliche Fanfarenmusik mit elf Trompeten komponierte, die er im Anschluss innerhalb weniger Wochen um vier weitere Sätze mit den Titeln “Burg”, “Das Königin-Kloster”, “Straße” und “Rathaus” ergänzte, womit er seiner Heimatstadt Brünn eine kleine Ehre erwies. Im Druck wichen die bildhaften Satzbezeichnungen jedoch wieder musikalischen Charakterbeschreibungen, unter denen flottere Tempi dominieren. Kurz und knackig, voller Rhythmus und eingängiger Melodien, mit umfangreicher Bläserbesetzung und starkem Bezug zur tschechischen Folklore – so präsentiert sich die “Sinfonietta” auf ihre Weise als weiterer ausdrucksstarker Spiegel der tschechischen Musikkultur, der unter den Fittichen von Jiří Bělohlávek überzeugend in Szene gesetzt wird.
Mit der Vertonung der russischen Erzählung “Taras Bulba”, ist dem tschechischen Komponisten eine Rhapsodie für Orchester gelungen, die über die drei Sätze hinweg eine ungeheure erzählerische Kraft entfaltet, vor bildhaften Klängen nur so sprüht und durch die Musik Janáčeks glühende Begeisterung für die kämpfende russische Nation zum Ausdruck bringt. Auch mit der verträumten Orchester-Ballade “The Fiddler’s Child”, die auf ein Gedicht von Svatopluk Cech zurückgeht, stellt Janáček sein Händchen für Programmmusik unter Beweis. Die Aufnahme ist noch dazu die erste Einspielung des Werks für den Decca Classics Katalog und bereichert das Doppelalbum um weitere Farben aus Janáčeks Klangspektrum.