Riccardo Chailly | News | Psychologische Feinheiten – Anna Netrebko glänzt in der Titelrolle von Verdis "Giovanna d'Arco"

Psychologische Feinheiten – Anna Netrebko glänzt in der Titelrolle von Verdis “Giovanna d’Arco”

Verdi: Giovanna d'Arco
© Decca
14.06.2018
Anna Netrebko als Jeanne d’Arc? Auf der Bühne lässt sich ja vieles denken, aber dass die Sängerin, die für ihre Dramatik und Leidenschaft, ihre Erotik und Gefühlsekstasen bekannt ist, jetzt auch die Rolle der Unschuld auszufüllen vermag, liegt erst einmal nicht auf der Hand.

Voller Überraschungen: Anna Netrebko

Netrebko wäre indes nicht Netrebko, wenn sie nicht noch viele weitere Überraschungen für ihr Publikum bereithielte. Die russische Starsopranistin hat immer wieder unter Beweis gestellt, dass sie eine begnadete Verwandlungskünstlerin ist. Wenn ihre psychologischen Fähigkeiten gefragt sind, dann vermag sie sich in fast jede Rolle einzufühlen. Über ihre sängerische Extraklasse wird schon lange nicht mehr gestritten. Sie gilt als gesetzt.
Darüber hinaus besitzt die Netrebko aber ungemein feine Antennen für seelische Regungen. Angst und Lust, Offenheit und Rückzug, Verliebtheit und Schmerz – Netrebko vermag den widersprüchlichsten Gefühlslagen Gestalt zu verleihen. Gesanglich, mimisch, tänzerisch, mit einem offensichtlichen Faible für Perspektivwechsel, besitzt sie eine breite Palette von Ausdrucksmöglichkeiten, die ihr auch die Tür für die französische Nationalheilige und das vollendete Symbol der Unschuld, Jeanne d’Arc, öffnen.

Psychologisches Setting: Moshe Leiser und Patrice Caurier

Riccardo Chailly muss dies geahnt haben. Der italienische Meisterdirigent dachte an die russische Diva, als er sich mit Verdis vernachlässigter, seit 150 Jahren nicht mehr an der Scala aufgeführten Oper “Giovanna d’Arco” zu beschäftigen begann. Dass die Wahl auf Anna Netrebko fiel, war keineswegs ihrer Prominenz geschuldet. Man hatte sich an der Scala genau überlegt, wer der schwierigen Rolle gewachsen ist. Das psychologische Setting, das Moshe Leiser und Patrice Caurier der Oper zugrunde gelegt hatten, kam der Netrebko sichtlich entgegen.
Jeanne d’Arc, das junge, begeisterungsfähige Mädchen, wird in der Inszenierung des belgisch-französischen Regie-Duos als hochsensible Persönlichkeit greifbar. Die wahnhaften Momente ihrer Visionen und Träume werden nicht geleugnet. Die Szene mit dem krankenzimmerähnlichen Bühnenbild von Christian Fénouillat legt nahe, dass sie sich in ärztlicher Behandlung befindet. Aber Netrebko vermag selbst der im Bett liegenden, in ein weißes Nachthemd gehüllten Heldin noch eine ergreifende Würde und Kraft zu verleihen.

Begeisterte Scala: Riccardo Chailly in Verdi-Laune

Dass die Wiederaufführung der Verdi-Oper, bei der es Blumen und Applaus regnete, ein Klassikevent der Extraklasse wurde, war aber nicht allein der Netrebko zu verdanken. Auch die glänzend besetzten Nebenrollen und die überragende Leistung Riccardo Chaillys, der bei seiner Heimkehr nach Mailand die musikalische Fülle von Verdis Oper kongenial herausarbeitete, trugen zum Erfolg der Inszenierung bei.
“Riccardo Chailly holt alle Facetten aus diesem extremen Werk heraus”, so BR Klassik begeistert. Und an der Seite von Anna Netrebko erlebt man, so das Deutschlandradio, den “sehr beeindruckenden geschmeidigen Tenor Francesco Mela als Carlo VII”. Ab sofort ist die außerordentliche Produktion der Scala mit der großartigen Musik von Giuseppe Verdi sowohl auf DVD als auch auf Blu-ray Audio Disc zu erleben.
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