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Cecilia Bartolis neues Album "Bellini: Norma"

Cecilia Bartoli
Decca / © Uli Weber
17.05.2013

Wir haben mehrere Jahre gewissenhafter Forschung und umsichtiger Arbeit in unseren Versuch investiert, Bellinis legendärer Oper Norma gerecht zu werden. Die Erforschung des musikwissenschaftlichen Kontexts, der Entstehung und der Frühzeit dieser Oper erwies sich als extrem kompliziert; bis dahin war diese Aufgabe noch von niemandem gründlich angegangen worden. Das neu entdeckte Detailreichtum der Partitur, ihre durchdachte Konstruktion und ihre atemberaubende Schönheit verlangten den Mitwirkenden eine lange Vorbereitungsphase, einen überaus offenen Blick und eine Menge Aufmerksamkeit ab, doch sie wurden mit einem Werk belohnt, das schöner und faszinierender ist, als sie es sich je hätten vorstellen können.

Bellinis ursprüngliche Stimmfarben

Bellini schrieb die Norma für Giuditta Pasta. Sie und Maria Malibran, die beiden beliebtesten Interpretinnen zu Bellinis Zeit, sangen viele Rollen, die heute als Rollen für Mezzosopran angesehen werden. Die junge Novizin Adalgisa hingegen übernahm Giulia Grisi, die eine hellere Sopranstimme besaß — Bellini schrieb die Elvira in I puritani und Donizetti die Norina in Don Pasquale für sie. Der virtuose Draufgänger Pollione wurde von Domenico Donzelli gesungen, dessen Repertoire viele Tenorrollen von Rossini umfasste, und der folglich eine flexiblere Stimme gehabt haben muss, als man es aus dem 20. Jahrhundert gewöhnt ist. Die Entscheidung, die von Bellini ursprünglich vorgesehenen Stimmfarben zu verwenden, machte es endlich möglich, wieder die Originaltonarten und Klangcharakteristika einzusetzen und üblicherweise herausgestrichene Partien mit einzubeziehen. Gemäß der damals üblichen Praxis werden natürlich Wiederholungen verziert, und im Falle Normas sind diese häufig von Variationen inspiriert, die von Schülerinnen Giuditta Pastas überliefert wurden.

Bellinis Partitur

Eine neue kritische Ausgabe der Partitur von Maurizio Biondi und Riccardo Minasi erlaubte es uns, Bellinis ursprüngliche Orchestrierung zu rekonstruieren. Diese Aufnahme folgt im Allgemeinen den Angaben des Komponisten bezüglich Dynamik und Tempi. Damit werden Beziehung und Balance zwischen den Tempi — welche die Tempodramaturgie der Oper bestimmen — wiederhergestellt. Das Ergebnis beweist, wie außergewöhnlich differenziert und vielseitig Bellinis Orchesterkomposition wirklich war. Außerdem wurde dieses Werk natürlich von einem spezialisierten Orchester aufgeführt, das Instrumente aus Bellinis Zeit einsetzt — das “Orchestra La Scintilla”.

Bellinis Drama

Indem die Form, die stimmliche Tessitur und die musikalische Struktur dieser Oper wiederhergestellt wurden, wird deutlich, dass Norma nicht übermenschlich ist, sie ist weder eine unnahbare Priesterin auf einem hohen Podest, noch ist sie die Verkörperung einer tragischen Heldin aus einer griechischen Tragödie. Sie ist vielmehr eine Frau aus Fleisch und Blut, die dem Irdischen verhaftet ist und mit erstaunlich modernen und überaus menschlichen Problemen zu kämpfen hat. Normas Schicksal — sie ist zwischen Pflicht und persönlichem Interesse hin- und hergerissen und verrät ihr Volk für die Liebe, nur um von ihrem Ehemann für eine Jüngere verlassen zu werden —, ihr Schwanken und ihre Zweifel, ihre unglaubliche emotionale Bandbreite, ihre Tapferkeit und Zerbrechlichkeit, die erst am Ende mit ihrer Selbstkasteiung und ihrem Tod zu einer Auflösung gelangen, machen sie zu einer echten und überaus bewegenden Persönlichkeit. Die Handlung wird pointiert, rasant und mitreißend erzählt und Normas, Adalgisas und Polliones Taten erscheinen als logische, wenn auch manchmal beklagenswerte Konsequenzen im Verlauf der tragischen Ereignisse. Zum Glück hielten die Rufe “fiasco, fiaschissimo” (“ein Fiasko, eine totale Pleite”) bei der ersten Aufführung an der Scala — die wahrscheinlich von neidischen Konkurrenten und deren bezahlter Claque stammten — den folgenden weltweiten Erfolg von Norma nicht auf, und Bellini selbst blieb überzeugt, dass es seine beste Oper war.

Bellinis Weitsicht

Norma hat eine heroische Seite und wurde häufig als Nonplusultra des klassischen Dramas angeführt — beispielsweise von Richard Wagner, der diese Oper Zeit seines Lebens bewunderte. Normas “enzyklopädischer” Charakter, ihre Ähnlichkeit zu mythischen Frauenfiguren wie Medea oder der germanischen Priesterin Velleda, die von Chateaubriand glorifiziert wurde, haben häufig die Herangehensweise an diese Oper bestimmt. Doch das Werk besitzt auch starke politische Implikationen, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert durchaus gesehen wurden: Von Beginn an beharrten die in der Lombardei überall präsenten österreichischen Besatzer auf bestimmten Änderungen im von Felice Romani verfassten Libretto. In den darauffolgenden Jahren wurde der galloromanische Plot, der von der Auflehnung eines unterdrückten Volkes gegen eine fremde Macht handelt, als ein Symbol der italienischen Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegung gesehen. Norma entwickelte sich zusammen mit dem melodramma des 19. Jahrhunderts im Allgemeinen zu einem wesentlichen Bestandteil des Entstehungsmythos des geeinten italienischen Staates, und die Rolle, welche die Oper in diesen Prozessen einnahm, wurde bis weit ins 20. Jahrhundert hinein anerkannt.
Doch nichtsdestoweniger ist das Schicksal einer Frau, die der Divergenz zwischen den Beschränkungen und Konventionen der Gesellschaft und den Erfordernissen ihrer persönlichen Situation zum Opfer fällt, ein Dilemma, das auch heute noch lange nicht gelöst ist.

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