Der Prince Charles Club in Berlin-Kreuzberg verströmt eine angenehm intime Atmosphäre. Das Publikum sitzt und steht hier nah beieinander, und das stiftet ein schönes Gefühl der Zusammengehörigkeit. An diesem Abend, dem 9. Mai, finden sich die Leute zügig in der angesagten Location ein. Obwohl der Frühling auf dem Kalender steht, ist es draußen noch kalt. Man ist froh, wenn man im Warmen ist, besorgt sich am Tresen sein Getränk und schielt dabei schon freudig erwartungsvoll in Richtung Bühne.
Dort wird in Kürze Julia Lezhneva erscheinen, eine blutjunge Koloratursopranistin, die in den letzten Jahren mit glanzvollen Live-Auftritten und hochgelobten Soloalben von sich reden gemacht hat. Ein Geheimtipp ist die russische Ausnahmesängerin schon lange. Doch zuletzt rückte sie mehr und mehr ins Blickfeld der breiten Öffentlichkeit, und das allein durch ihre außerordentlichen Gesangsleistungen. Julia Lezhneva macht keinen großen Kult um ihre Person.
Sie hat sich eine wohltuende Bodenständigkeit bewahrt und konzentriert sich ganz auf ihren Gesang. Diese Fokussiertheit imponiert, und sie trägt auch an diesem Abend reiche Früchte. Als sie gegen 22:00 Uhr die Bühne betritt, geht sie nur kurz in sich, und dann legt sie auch schon los. Postwendend ist sie in ihrem Element, widmet sich hingebungsvoll ihrem Gesang und knüpft mit sympathischen, mal scheuen, mal augenzwinkernden Blicken einen schnellen Kontakt zum Publikum. Im Zentrum ihres Recitals stehen Arien von Carl Heinrich Graun.
Lezhneva hat kürzlich ihr drittes Soloalbum bei Decca veröffentlicht, worin sie hinreißende musikalische Schätze des visionären Opernkomponisten birgt. Eine Pioniertat, mit der sie die ebenso tiefsinnige wie virtuose Liedkunst des weitgehend in Vergessenheit geratenen Barock-Genies ins 21. Jahrhundert rettet. Dass sie mit Graun zu begeistern vermag, stellt sie in der Yellow Lounge eindrucksvoll unter Beweis. Atemberaubend ihre makellosen Koloraturen, die sie unter der diskreten Klavierbegleitung Mikhail Antonenkos glasklar hervorscheinen lässt.
Dabei hat man nie das Gefühl, dass sie sich anstrengen muss. Sie klingt ganz natürlich und zieht das Publikum mit ihrer ungeschützten, offenherzigen Art völlig in Bann. Mikhail Antonenko gönnt ihr kleine Erholungspausen und spielt zur Abwechslung Bach und Schubert auf dem Klavier. Als er Schuberts Impromptu Nr. 3 interpretiert und dabei herrlich ins Träumen gerät, befinden wir uns schon mitten im zweiten Programmteil.
Der Abend ist rasend schnell an uns vorbeigezogen, und wir wollen mehr. Die Hände von Mikhail Antonenko gleiten sanft über die Tasten, was man auf der Leinwand sieht. VJ Safy Sniper projiziert den Pianisten dorthin und rahmt ihn mit warmem Licht ein. Das trägt zur magischem Stimmung des Konzertabends genauso bei wie die eher stille Musik, die Clé und Kiki Bohemia auflegen.
Ein notwendiger Kontrast, denn Lezhnevas Gesangskunst steigert sich mehr und mehr zu einem Furor, einem Sturm, der das Publikum heftig erfasst. Da wirkt es beinahe wie ein Schock, als das Konzert endet. Knapp anderthalb Stunden sind verflogen wie nichts, und die Leute fordern jetzt lautstark Zugaben. Julia Lezhneva genießt die wilde Begeisterung im Club und kehrt dreimal auf die Bühne zurück.
Einmal mit “Mi paventi il figlio indegno”, jener furiosen Arie, die sie erstmals Feuer fingen ließ für Carl Heinrich Graun. Tosender Applaus! Im Publikum gibt’s kein Halten mehr. Es folgt: “Alleluia” von Nicola Porpora. Erneut: tosender, nicht enden wollender Applaus, als Julia Lezhneva mit Händels andachtsvollem “O nox dulcis” dem Konzertabend die Krone aufsetzt.