“Ich habe eine Liebesaffäre mit der Stimme von Renée Fleming”, so bekannte der große Dirigent Sir Georg Solti einst. Das ist schon einige Jahrzehnte her, doch Flemings Stimme hat seitdem nichts von ihrem Zauber verloren.
Im Gegenteil: Es scheint, als prägte sich ihre Stimme von Jahr zu Jahr schöner aus. Als kristallisiere sich immer deutlicher heraus, worin die Mission der Renée Fleming besteht. Die amerikanische Sopranistin hat ihre Stimme über Jahrzehnte hinweg sorgsam gepflegt. Ihre Technik ist perfekt. Sie eignet sich geschickt neues Repertoire an, und komplexe Rollen auszufüllen, ist für Renée Fleming keine Last, sondern eine wahre Freude.
Was dabei so frappiert, ist ihr jugendlicher Charme, ihre nicht nachlassende Frische. Die 1959 in Indiana im US-Bundesstaat Pennsylvania geborene Künstlerin steckt voller Lebensenergie und ist von einer zauberischen Aura umgeben. Es ist, als ob sie sich durchs Leben tanzt und den Boden dabei nur leicht streift. Auf der Bühne jedenfalls verkörpert sie wie kaum jemand sonst das Zauberische, die schwebende Balance, den Tanz.
Renée Fleming ist eine fabelhafte Künstlerin. Sie scheint selbst aus dem Märchen zu stammen, und keine Rolle ist ihr deshalb so sehr auf den Leib geschrieben wie die Titelrolle in Dvořáks Oper “Rusalka”. Die singende Nixe öffnet der Sängerin alle Möglichkeiten, ihre tänzerische Sicherheit und ihren natürlichen Charme in Szene zu setzen. Rusalka ist eine ergreifende Märchenfigur, die den Zuschauer sofort in Bann zieht. Die Nixe verliebt sich in einen Prinzen, der regelmäßig in ihrem Gewässer badet.
Um dem Prinzen näher zu kommen, bittet sie die Hexe Ježibaba darum, ihr eine menschliche Seele zu verleihen. Die Hexe willigt ein. Unter einer Bedingung: Rusalka muss schweigen. Die Nixe ist einverstanden, und Ježibaba verwandelt ihren Fischschwanz in zwei Beine. Jetzt ist sie ein Mensch und macht sich auf den Weg zum Prinzen, der sich prompt in das schöne Mädchen verliebt. Die Hochzeit steht an. Doch die schweigende Rusalka erscheint dem Prinzen, der sich noch auf der Hochzeit einer fremden Fürstin zuwendet, immer fremder.
Rusalka verzweifelt. Als einmal verwandeltes Wesen kann sie nicht zurück ins Wasser und muss fortan als todbringendes Irrlicht umherwandeln. Der Prinz ist unterdessen von der Fürstin verlassen worden und möchte zu Rusalka zurück. Als er sie trifft, warnt Rusalka ihn noch vor dem todbringenden Kuss. Doch der Prinz verzerrt sich so sehr nach ihr, dass er sie schließlich küsst und in ihren Armen stirbt. Rusalka bleibt unerlöst und auf ewig ein unheilstiftendes Wesen.
Das Libretto zu Dvořáks Oper aus dem Jahre 1901 stammt von dem tschechischen Dichter Jaroslav Kvapil. Es knüpft direkt an Friedrich de la Motte Fouqués Märchen Undine an. Renée Fleming taucht tief in den Geist der Märchenfigur ein und verkörpert beides großartig: die verliebte Nixe, die sie nicht zuletzt in dem berühmten “Lied an den Mond” ergreifend zum Ausdruck bringt, und die verzweifelte Nixe, die schwebend umherirrt. Die DVD “Dvořák: Rusalka” zeugt denn auch von einem glänzenden Abend in der Met.
Der Live in HD-Mitschnitt wurde im Februar vorigen Jahres angefertigt. Am Dirigierpult stand Yannick Nézet-Séguin, der das Metropolitan Opera Orchestra ausgezeichnet auf Dvořák vorbereitete. Die berückend schönen Melodien des tschechischen Komponisten kommen bei dem jungen Meisterdirigenten mit diskreter Eleganz zur Geltung. Nézet-Séguin liebt Dvořáks Oper aus dem Jahre 1901, und wie ihr Publikum, so ist er auch von Flemings Mission überzeugt. “Es hat etwas Besonderes auf sich mit Renée und Rusalka”, so der kanadische Dirigent im Booklet zur DVD.