Vor über 20 Jahren, in der Spielzeit 1993/94, hat Renée Fleming ihr Rollendebüt als Desdemona an der New Yorker Metropolitan Opera gegeben. In der DVD-Produktion, die 2012 am selben Ort entstanden ist und die nun bei DECCA erscheint, präsentiert Renée Fleming eine Desdemona, die wie die Interpretin selbst gewachsen ist und durch unermessliche Intensität auf stimmlicher und spielerischer Ebene beeindruckt.
Wenn Renée Fleming Desdemonas “Ave Maria” singt, dann geht einem das Herz auf. Sie singt mit vollendeter und zarter Schönheit, die Phrasierungen sind köstlich, der Ausdruck ist von berührender Authentizät. Diese berührende Arie ist das emotionale iTüpfelchen der Produktion. Wenn Renée Fleming im 4. Akt die 16 Minuten lange Passage singt, steht die Zeit still. In ihrer Autobiographie beschreibt Renée Fleming, wie sie sich anfangs erstmal in Desdemona einfühlen musste: “Während ich mich auf die Rolle vorbereitete, begann ich, sie als eine Figur von großer Reinheit zu erkennen: Sie glaubt derart fest an die Liebe, die sie mit Otello verbindet, dass sie sich schlicht nicht vorstellen kann, dass etwas zwischen sie geraten könnte. Diese Erkenntnis machte es mir möglich, sie mit großer Liebe und Zuversicht zu spielen.”
Mit der Entdeckung von Desdemonas Gefühlswelt, entwickelte sich die Partie für Renée Fleming von einer Herausforderung schnell zu einer ihrer Paraderollen. In der Emotionalität liegt der Schlüssel und noch dazu ist ihre Stimme einfach wie für Verdis Musik gemacht.
Dass es überhaupt zu der Komposition der berühmten Oper gekommen ist, gleicht einer glücklichen Fügung. Sehr zu seinem Leidwesen wurde Giuseppe Verdi im Laufe seiner Karriere oft mit Richard Wagner verglichen. Und so zog er sich 1873, nachdem er sein Requiem beendet hatte, auf sein Landsitz Sant’Agata zurück, um sich nicht mehr der Musik, sondern der Bewirtschaftung seines Gutes zu widmen. Glücklicherweise überredeten ihn seine Frau, sein Verleger und der Librettist Arrigo Boito schließlich doch dazu, sich kompositorisch William Shakespeares “Othello” zu widmen. 1886 war die Instrumentierung fertig – am 1. November schrieb Verdi an seinen Verleger Ricordi: “Otello ist vollständig beendet!! Wirklich beendet!!! Endlich!!!!!!!!” Die Uraufführung an der Mailänder Scala im Februar 1887 gab daraufhin den Startschuss für eine glanzvolle Karriere der Oper. Otello gehört bis heute zum Repertoire der bedeutendsten Bühnen auf der Welt.
Als Desdemona muss man stimmlich absolut schwerelos sein und trotzdem die Dramatik zum Leben erwecken können, die Verdis Oper durchdringt. Dieser Spagat gelingt Renée Fleming in der New Yorker Produktion des australischen Opernregisseurs Elijah Moshinsky meisterhaft. Man hat den Eindruck, der Regisseur lässt die Sopranistin ihr Innerstes nach außen kehren mit der Rolle eins werden. Das Liebesduett “Già nella notte densa” im 1. Akt bezaubert durch die ungetrübte Gefühlsbetontheit, die in starkem Kontrast zu der düstereren Doppelarie im letzten Akt der Oper steht. Der südafrikanische Tenor Johan Botha erweist sich an der Seite von Renée Fleming als grandioser Otello. Wie die Sopranistin ist auch er all den unterschiedlichen Anforderungen, die Verdis hochdramatische Oper mit sich bringt, hervorragend gewachsen.
Elijah Moshinskys Inszenierung ist modern, geschmackvoll und bis ins letzte Detail durchdacht. Das Orchester der Metropolitan Opera läuft noch dazu unter der Leitung von Semyon Bychkov zur Höchstform auf und variiert wunderbar zwischen sinfonischem Brausen und fragiler Begleitung. Fast glaubt man zu spüren: Verdi selbst hätte seine Freude daran gehabt!