Als der 26-jährige Vladimir Ashkenazy im März 1963 seine erste Platte für Decca aufnahm, hatte er schon eine bemerkenswerte pianistische Karriere hinter sich. In der Sowjetunion als Wunderkind erkannt und gefördert, gewann er höchste Preise bei den Klavierwettbewerben in Warschau (1955), Brüssel (1956) und Moskau (1962). Als Vorzeigekünstler des kommunistischen Regimes genoss Ashkenazy das Privileg, auf Konzertreisen in den Westen gehen zu dürfen. So eröffneten sich ihm neue Perspektiven: „Als ich begann, in den Westen zu reisen, zunächst nach Belgien, dann nach Westdeutschland und auch nach Amerika, brachte ich ganze Koffer voller LPs und Partituren mit“, erinnert sich Ashkenazy. „Ich wurde zu einer Anlaufstation für Musiker in Moskau, die meine raren Dokumente ausliehen.“ Doch der Privilegierte stand auch unter besonderer Beobachtung durch den KGB. Man verlangte Spitzeldienste von ihm und lies ihn auf Reisen von einer Begleitperson überwachen. Ashkenazys Heirat mit der isländischen Pianistin Thorunn Johannsdottir verstärkte das Misstrauen der Behörden noch. „Am Ende wurden wir geradezu paranoid. Wegen Nichtigkeiten mussten wir uns stundenlang vor lokalen Komitees erklären.“
Neues Leben im Westen
Eine Tour durch Großbritannien im Jahr 1963 nutzten Ashkenazy, Ehefrau Thorunn und Sohn Vovka zur Flucht. 26 Jahre lang kehrte der Musiker nicht mehr in seine Heimat zurück – aus Angst, man würde ihn nie wieder gehen lassen. „Von 1963 bis 1989 kehrte ich dem Land den Rücken. In diesen Jahren wurden alle Verbindungen gekappt“, kommentiert Ashkenazy. Nach der ersten Station London zog die Familie weiter nach Island, wo der Pianist die isländische Staatsbürgerschaft annahm. In der Schweiz fand die Familie schließlich ihre Wahlheimat. Über sein neues Leben im Westen sagt der fünffache Vater im Rückblick: „Ich kam in den Westen als ich 26 Jahre alt und im Grunde noch ein unreifer Junge war. Mein Charakter wurde vom Westen geprägt. Wäre ich in Russland geblieben, wäre ich heute ein anderer Mensch. Mein Auffassung von Musik und meine Einstellung zum Leben bildeten sich erst wirklich aus, als ich in den Westen kam. Hier begann ich, für mich selbst zu denken.“
Als Pianist und Dirigent bei Decca unter Vertrag
Nach der Ankunft in London 1963 unterzeichnete Ashkenazy einen Exklusivvertrag bei Decca – ein bemerkenswerter Schritt für einen Künstler, der gerade ein Land verlassen hatte, das klassische Musik auf einem staatlichen Label veröffentlichte. Die äußerst fruchtbare langjährige Verbindung zwischen Label und Künstler brachte mehr als 150 Aufnahmen hervor, von denen nicht weniger als vier mit einem Grammy ausgezeichnet wurden. Die Basis der erfolgreichen Zusammenarbeit bildete großes beiderseitiges Vertrauen. Vladimir Ashkenazy genoss weitgehende Freiheit in Bezug auf die Planung seines Repertoires. Bei seinen Aufnahmen für Decca konzentrierte er sich als Pianist auf romantische Klavierwerke von Chopin, Mussorgsky, Tschaikowsky und Rachmaninoff sowie klassisches Repertoire von Mozart und Beethoven. Gegenüber der künstlerischen Neuausrichtung als Dirigent, die Ashkenazy seit den Jahren in Island vorantrieb, zeigte sich das Label aufgeschlossen, war doch der Künstler bestrebt, sein Publikum behutsam an die neue Rolle zu gewöhnen. So nahm er zu Beginn seiner Dirigentenkarriere Mozarts Klavierkonzerte ins Programm auf und dirigierte vom Klavier aus das Orchester. Als Dirigent widmet sich Vladimir Ashkenazy vor allem russischem und skandinavischem Repertoire. Seit 2009 leitet er das Sydney Symphony Orchestra.
Limitierte Edition zum 50. Jubiläum
Das Jubiläum der 50-jährigen Zusammenarbeit mit Vladimir Ashkenazy feiert Decca mit der limitierten CD-Edition „Ashkenazy – 50 Years on Decca“. Auf 50 CDs präsentiert das Label über 150 Werke, die der Künstler als Pianist und Dirigent aufgenommen hat. Die Box beinhaltet Ashkenazys legendäre Einspielungen von Chopins Balladen, der Etüden op. 10 & 25 und des Klavierkonzerts Nr. 2 sowie seine berühmten Aufnahmen der Klavierkonzerte von Rachmaninoff und Tschaikowsky. Neben romantischem Repertoire finden sich in dieser Zusammenstellung auch die Aufnahmen von Bartoks Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug und Debussys „L’isle joyeuse“. Am Pult leitet Ashkenazy Weltklasseorchester wie das London Symphony Orchestra, die Wiener Philharmoniker oder das Chicago Symphony Orchestra. Seine Bedeutung als Dirigent von Weltrang dokumentieren etwa die brillante Einspielung der „Bilder einer Ausstellung“ von Mussorgsky und Schostakowitschs Symphonie Nr. 7 „Leningrad“.