Er hat als Pianist und Dirigent alles erreicht, was man erreichen kann. Und doch ist er stets auf dem Boden geblieben. Vladimir Ashkenazy ist ein Diener seiner Kunst, kein Exzentriker, der sich selbst in ein strahlendes Licht stellt. Das hat er auch gar nicht nötig, denn sobald seine Hände über die Tasten gleiten, vermag er Klänge zu erzeugen, die das Herz seiner Hörer zum Strahlen bringen.
Wie er Rachmaninoff, Chopin oder Skrjabin interpretiert hat, sucht seinesgleichen in der Klavierwelt. Man erkennt es sofort, und man kann gar keinen Fehler machen, wenn man sich eine Aufnahme dieses feinsinnigen Meisterinterpreten zulegt. Vladimir Ashkenazy, das ist immer eine sichere Bank. Das ist exquisit, eigensinnig und doch nie geschmäcklerisch. Dieser Pianist ist der Inbegriff eines maßvollen Romantikers, der stets den richtigen Ton trifft und jede leere Geste vermeidet. Die sentimentale Versuchung des Romantikers liegt ihm fern. Zwar geht es ihm um die großen Leidenschaften in der Kunst, aber um keinen Preis um etwas Aufgesetztes, sondern um echten Gefühlausdruck in schönen, ausgewogenen Klanglandschaften.
Das prädestiniert ihn nun wiederum wie kaum einen anderen Pianisten für die tänzerisch angelegten Werke von Johann Sebastian Bach. Diese wahrscheinlich unterhaltsamsten Arbeiten des unsterblichen Altmeisters aus Eisenach sind Wunderwerke ausgewogener Kontrapunktik und intensiver Gefühlsbewegungen. Bach hat in ihnen die expressiven Möglichkeiten der Romantik bereits angedeutet. Dabei hat er die französische und italienische Manier keinesfalls kopiert. Er benutzt sie lediglich als Rahmen, um sie mit einem eigenen Inhalt zu füllen. Was man dabei zu hören bekommt, ist eine Symbiose der überwältigend komplexen Harmonien Bachs mit dem abwechslungsreichen, tänzerischen Furor der französischen und italienischen Manier.
Ashkenazy liegt diese Musik. Seine gleichzeitige Sensibilität für kontrapunktische Strenge und romantischen Ausdruck lässt ihn diese Werke wie seine eigenen spielen. Sie scheinen ihm schon angehört zu haben, bevor er sie interpretierte, so natürlich klingen sie in seinen gerade erschienenen Aufnahmen. Leicht und sanft gleitet er bei der Französischen Ouvertüre (Partita) in h-Moll (BWV 831) über die Tasten. Als wäre es das Einfachste von der Welt, schreitet er leichthändig von Tanz zu Tanz und arbeitet zugleich glasklar die subtilsten Harmonien Bachs heraus. Dabei spürt Ashkenazy einem ganz eigenen, frappierend subjektiven Ton Bachs nach. Besonders in der nachdenklichen Sarabande kommt dies mit ergreifender Offenherzigkeit zum Ausdruck. Herrlich ist, wie dann in der folgenden Bourée wieder ein leichter Ton angeschlagen wird, wie überhaupt das Wechselspiel von tänzerischer Leichtigkeit und melancholischer Schwere einen besonderen Reiz dieser Arbeiten Bachs ausmacht.
Aber was auch immer Ashekenasy auf dieser harmonisch und rhythmisch so reichhaltigen Aufnahme spielt, ob die Aria variata alla maniera italiana in a-Moll (BWV 989), das Konzert in d-Moll (BWV 974) oder das berühmte Italienische Konzert in F-Dur (BWV 971), stets tastet er demütig dem Ton nach, den diese Musik erfordert. Und das ist bei diesem schwungvollen, unterhaltsamen Bach mal mitreißend, mal tröstlich, mal sehnsuchtsvoll, mal melancholisch und mal leicht. Der russische Pianist orientiert sich an dem Maß dieser Musik. Er pfropft ihr nichts Fremdes auf, und dadurch verleiht er ihr eine Gefühlsintensität, die einmalig ist.