Vivaldis geistliche Kompositionskunst ist per se von starker emotionaler Wirkung. In besonderer Weise gilt dies aber für sein “Gloria”, eine Kirchenkomposition, die durch ihre erstaunliche Beschwingtheit glänzt.
Das Werk klingt wie ein Glücksrausch, wie ein Ton gewordenes Gefühl der liebevollen Verehrung, welches durch den religiösen Gegenstand der Verehrung nie aufzuhören scheint. Vivaldi besaß dieses besondere Gespür für erhabene Stimmungen. Der komponierende Priester und begabte Geiger war von tiefen religiösen Gefühlen durchdrungen. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Komponisten seiner Epoche nahm er sich Freiheiten heraus und verlieh seinem spirituellen Erleben tänzerisch Ausdruck.
Julia Lezhneva hat für diese Art von Musik ein besonderes Gespür. Die russische Sopranistin verkörpert, wie sonst vielleicht nur die legendäre Emma Kirkby, mit ihrer ganzen Person jene engelhafte Aura, die Vivaldis geistliche Kompositionskunst zu einem unvergesslich schwebenden Hör-Erlebnis macht. Es ist eine Mischung aus spontaner Unbefangenheit und spirituellem Ernst, die ihren Gesang auszeichnet. Lezhneva übersetzt den barocken Lobpreis in die reduzierten Hörgewohnheiten des 21. Jahrhunderts.
Ihr Gesang kommt ohne große Gesten aus. Er klingt federleicht, natürlich, unaufgesetzt, wie ein selbstbewusster Tanz, der die reine Freude am Leben ausdrückt. Julia Leshneva hat diese Qualitäten mit Arien von Porpora, Händel, Graun und Mozart schon eindrucksvoll unter Beweis stellen können. Ihre gefeierten Solo-Alben bei Decca sprechen für sich. Jetzt ist die junge Sängerin an der Seite des brillanten Countertenors Franco Fagioli in einer hinreißenden Aufnahme von Vivaldis Gloria zu erleben.
Die Stimmung auf dem Album ist von Beginn an euphorisch, bereits der Anfang des Glorias, ein himmlischer Chorgesang, ist von überwältigender Hoffnungsfülle. Das Schweizer Kammerensemble I Barocchisti und der Coro della Radiotelevisione svizzera begeben sich unter der Leitung des großen Barockspezialisten Diego Fasolis tief in die freudetrunkene Gefühls- und Denkwelt von Antonio Vivaldi.
Der ausdrucksstarke Chorgesang strahlt jene erhabene Leichtigkeit aus, die für Vivaldi so typisch ist, aber nur selten so präzise getroffen wird. Julia Lezhneva und Franco Fagioli fühlen sich bei den schweizerischen Kollegen hörbar wohl. Lezhneva kann ihrer natürlichen Spiritualität kongenial Ausdruck verleihen, vielleicht am eindringlichsten in dem sanft fließenden “Domine Deus, Rex Coelestis”.
Franco Fagioli, der bei Deutsche Grammphon zuletzt ein großartiges Album mit Händel-Arien publizierte, glänzt mit einem tiefsinnigen “Agnus Dei” und an der Seite von Julia Lezhneva in dem herrlich beschwingten Duett des “Laudamus te”.
Neben dem Gloria finden sich mit “Nisi Dominus” und “Nulla in mundo” noch zwei weitere geistliche Kompositionen von Vivaldi auf dem Album, in denen die farbintensive Gesangskunst von Julia Lezhneva und Franco Fagioli in ganz unterschiedlichen Stimmungen zur Geltung kommt. Mal lebhaft, mal nachdenklich-melancholisch und immer berührend.