Max Cencic greift immer nach den Sternen. Der ambitionierte Sänger hat sich noch nie mit mittelmäßigen Projekten zufriedengegeben. Alles, was er in Angriff nimmt, tut er aus Leidenschaft und mit Begeisterung, die sich unmittelbar auf sein Publikum überträgt.
Dabei war er in seiner Laufbahn schon mit mancher Einsamkeit konfrontiert. Wer hätte denn gedacht, dass man als Countertenor mit randständigem Barockrepertoire ein Massenpublikum hinter sich versammeln kann? Und welcher Kritiker hätte allen Ernstes auf einen Sänger gesetzt, der zwischenzeitlich aus dem Kulturbetrieb ausschied, um Abstand zu gewinnen und sich neu zu orientieren? Der charismatische Sänger selbst aber wusste, dass es richtig war.
Cencic, zweifellos eine der kompromisslosesten und ehrlichsten Künstlergestalten unserer Zeit, ahnte schon früh, dass er seinem inneren Kompass folgen muss. Dem Mainstream zu folgen, war für das Wunderkind einer hochmusikalischen Familie noch nie eine Option. Deshalb studierte er zum Beispiel “International Relations”. In dem Fach geht es um Machtpolitik, Außenpolitik, um strategische Fragen – auf den ersten Blick eine seltsame Wahl für einen hochsensiblen Künstler, der auf der Bühne keine Gefühlsnuance auslässt.
Aber Max Cencic weiß sehr genau, was er tut, und deshalb war es auch kein Zufall, dass er Countertenor wurde und sich auf barockes Opernrepertoire spezialisierte. Hier findet er alles, was ihn reizt: sinnliche Fülle, Witz, Lust an der Travestie, Dramen um Macht und Liebe, Glamour und virtuose Brillanz. “Barockoper fordert!”, so Cencic in einem Gespräch mit Volker Hagedorn. Die Arien eines Nicola Porpora zum Beispiel erfassen mit ungeheurer Tiefenschärfe das Innenleben der Bühnenhelden.
Sie verdichten die jeweilige Gefühlslage des Schauspielers, der gerade an einem bestimmten Punkt der Handlung steht. Der Sänger muss hochpräsent sein. Er muss den jeweiligen Affekt punktgenau treffen. Eine Spezialität von Max Cencic, der flüchtige Stimmungen blitzschnell erfasst und in Gesang verwandelt. Das prädestiniert ihn für die eindrucksvollen Arien von Nicola Porpora, der die seelischen Ausdrucksmöglichkeiten der menschlichen Stimme voll ausreizte.
Wie mitreißend die Musik des italienischen Komponisten ist, hat Max Cencic zuletzt mit seiner gefeierten Weltersteinspielung von Porporas schillernder Oper “Germanico in Germania” nachdrücklich unter Beweis gestellt. Jetzt legt der berühmte Sänger mit einem weiteren Album des unterschätzten Neapolitaners nach. Mit Blick auf Porporas 250. Todestag am 3. März 2018 erscheint nunmehr eine sensationelle Kompilation berührender Arien des hochproduktiven Barockkomponisten.
Sieben der insgesamt vierzehn Arien sind Welterstveröffentlichungen. Darunter echte Hit-Anwärter, wie zum Beispiel das hinreißend innige “Ove l’erbetta tenera e molle” aus Porporas Oper “Filandro-Philander”. Cencic nimmt sich hier vornehm zurück und zieht mit Geduld die langen Linien dieser umwerfend zarten Arie. Virtuos dagegen: “Lieto sarò di questa vita” aus der Oper “Ezio”. Erhabene Töne einer noblen Dankbarkeit.
Max Cencic bringt Ezios Erleichterung darüber, dass er kein falsches Geständnis abgelegt hat und Valentinian ihm nun endgültig trauen kann, glänzend zur Geltung. Solche und viele andere Highlights des Albums zeugen von dem hohen Einfühlungsvermögen Max Cencics, der seine virtuose Klasse ausdrucksstark einzusetzen weiß. Immer auf der Höhe von Cencics hochemotionaler Gesangskunst: die tänzerisch lustvolle und freigiebige Klangkultur des Ensembles Armonia Atenea unter der Leitung von George Petrou.