Es ist ein ganz eigener Zauber, der einer hohen Männerstimme innewohnt. Betörend und ungewohnt zugleich entfaltet sich ihre Ästhetik und erobert dabei klangliche Weiten von überirdischer Schönheit. Der Mezzosopranist und Countertenor Max Emanuel Cencic gehört im Reich der hohen Männerstimmen zu den derzeit gefragtesten Solisten und bereits auf seinen früheren Alben wie “Alessandro” und “Rokoko” hat der 39-jährige Kroate mit seiner strahlenden Stimmkraft und seinem leidenschaftlichen Interpretationsansatz fasziniert. Darüber hinaus hat der Sänger seit jeher ein feines Händchen für die Auswahl der Literatur bewiesen und sich als ein musikalischer Schatzsucher gezeigt, den gerade die selten gehörten, gar niemals geborgenen Juwelen unter den Stücken locken. Mit “Arie Napoletane” erscheint bei der Decca nun ein neues Album von Max Emanuel Cencic und einmal mehr gelingt dem Künstler eine Glanzleistung in Sachen Stimmführung und Programm-Komposition.
Für sein neues Album hat sich Max Emanuel Cencic gedanklich nach Italien begeben und in jenen Werken gestöbert, die im Neapel des 17. und 18. Jahrhunderts für die besten Kastratenstimmen der damaligen Zeit komponiert wurden. Mit Arien unter anderem von Alessandro Scarlatti, Leonardo Vinci, Nicola Porpora und Leonardo Leo findet sich eine vielseitige, stimmungsreiche und lebendige Auswahl an Stücken auf dem Album, die die Kompositionskunst des Spätbarock und der nachfolgenden Strömungen in ihrer ganzen Breite repräsentiert. Besonders bemerkenswert: Zehn Stücke darunter sind weltweite Ersteinspielungen und offenbaren eine kompositorische Brillanz und Intensität der damaligen Tonschöpfer, die kaum glauben lassen, dass sie über lange Zeit in Vergessenheit geraten waren.
Im Zentrum steht mit Alessandro Scarlatti der größte Opernkomponist seiner Generation, dessen Ziel es war, das dramma per musica venezianischer Machart auch auf europäischer Ebene zu verbreiten. In Arien wie “Vago mio sole Massimo Puppieno” zeigt sich der Vertreter des Spätbarock dabei als feinsinniger Dramaturg, der die psychologische Entwicklung der Figuren ausdrucksstark in Szene setzt. Mit Porpora, Leo und Pergolesi kommen Vertreter des prägalanten Stils hinzu, deren Tonsprache von eindrücklicher Dramatik und Virtuosität geprägt ist. Beispielhaft zu erleben ist dies etwa in der tosenden Wut-Arie “Qual turbine che scende” von Porpora oder in Pergolesis “L’infelice in questo stato”.
Max Emanuel Cencic nähert sich diesen faszinierenden Schöpfungen rund um Neapel auf charmante und lebensfrohe Art und Weise. So agil wie expressiv erweckt er die Gefühlswelten der Stücke zum Leben, inszeniert in virtuosen Koloraturen den emotionalen Ausnahmezustand und schafft bei den lyrisch tragenden Phrasen Momente intimer Wärme. Mit beeindruckender Stimmtechnik wechselt Cencic fließend die Register und lässt seine schlanke Countertenor-Stimme klar und weich zugleich wirken. Mit dem Orchester Il Pomo D’Oro steht ihm dabei ein transparent und fein ausgeleuchteter Klangkörper zur Seite, der unter der Leitung von Maxim Emelyanychev tänzerisch und mit lebendiger Dynamik die spätbarocken Werke ergründet. Als instrumentaler Höhepunkt steht am Ende des Albums schließlich ebenfalls eine Ersteinspielung: das Cembalo-Konzert von Domenico Auletta.