Man kennt Brahms als gefühlvollen Melancholiker. Seinen Kompositionen haftet stets eine gewisse Schwere an. Sie sind tiefsinnig, voller Wehmut und Sehnsucht. Und sie lassen auf einen Menschen schließen, der intensiv gelebt hat.
Wenn ein so ernster und schwerblütiger Komponist zu tanzen beginnt, dann ist dies umso ergreifender. Andererseits tanzt Brahms immer, selbst dann, wenn er traurig ist. Aber so leicht, beschwingt und heiter wie in seinen beiden Serenaden kennt man ihn sonst nicht. Diese beiden Werke, die er in den Jahren 1857–1860 komponierte, strahlen eine solche Freude aus, dass sie regelrecht glücklich stimmen. Man denkt zuerst an Haydn oder Mozart, passagenweise auch an Beethoven.
Wenn man jedoch länger hinhört, kristallisiert sich der ureigene Brahms-Ton immer deutlicher heraus. Man spürt zwar, dass die Serenaden harmonisch von Joseph Haydn zehren, aber in poetischer Hinsicht haben sie ihren ganz eigenen Charme, und es ist die Mischung aus traditioneller Harmonik und eigenwilligen Themen, aus klassischer Formgebung und diskret durchscheinender Romantik, die diese beiden Kompositionen zu einem unwiderstehlichen Hör-Erlebnis macht.
Die enorme innere Spannung zwischen harmonischer Disziplin und romantischem Freiheitsstreben erfordert dabei fast zwingend einen Interpreten, der etwas von Ausgleich versteht, und es gibt nur wenige Dirigenten, denen die Herstellung von Balancen musikalisch so leicht von der Hand geht wie Riccardo Chailly. Der italienische Maestro am Pult, der für seine Verdienste um Johannes Brahms in den letzten Jahren viele wichtige Preise bekommen hat, verleiht den Serenaden eine heitere Eleganz, die hinreißend ist. Das Gewandhausorchester tanzt unter Chailly. Der diskrete Swing der Serenaden kommt voll zur Geltung. Zugleich wird aber auch strengstens auf die Form geachtet, und so gerät das neue Album von Riccardo Chailly zu einem Meisterwerk der harmonischen Genauigkeit und zarten Beschwingtheit.