Countertenöre sind ein Faszinosum. Es ist, als schwebten sie in einer anderen Sphäre. Dabei kommen sie einem manchmal wie Engel vor, so rein und unschuldig klingen sie. Sie können aber auch als unwiderstehliche Verführer in Erscheinung treten, die ihr Publikum mit koketten Gesten magisch in Bann ziehen.
Unaufhaltsamer Siegeszug
Längst haben sie die Konzertsäle erobert. Countertenöre stehen heute im Rampenlicht. Ein gewisser Glamour umgibt sie. Das Publikum jubelt ihnen zu. Allen voran Max Cencic, der mühelos die oberen Register erklimmt und sich mit zauberhafter Sicherheit dort aufhält. Cencic, 1976 in Zagreb/Jugoslawien geboren, hat dem Fach zu enormer Popularität verholfen. Aber er ist nicht der Einzige: In seiner Altersgruppe wuchs eine goldene Generation von Countertenören heran, und sie fand unter noch jüngeren Künstlern begnadete Nachahmer. “The 5 Countertenors” ist ein eindrucksvolles Zeugnis dieser Entwicklung. Das Album versammelt fünf Individualisten der Extraklasse, die in je unterschiedlichen Färbungen ergreifende Arien aus dem Barockzeitalter zum Besten geben.
Blutjunge Künstler
Den Anfang macht Valer Sabadus, der mit Spezza lo stral piagato von Niccolò Jommelli ein wahres Feuerwerk der barocken Lebensfreude entzündet. Sabadus, 1986 in Arad/Rumänien geboren, verfügt über ein weiches, überaus warmes Timbre, und damit verleiht er Glucks Arie “Non so frenare il pianto”, seiner zweiten Darbietung auf dem Album, einen unnachahmlich tiefen, melancholischen Ausdruck.
Mit Vince Yi findet sich ein weiterer blutjunger Künstler auf dem Album. Der hochgelobte Südkoreaner besticht durch seine Unangestrengtheit und Offenherzigkeit. In Josef Myslivečeks Arie “Ti parli in seno amore” stellt er seine überwältigende Virtuosität unter Beweis. In berührend naiver Manier singt er Hasses Arie “Ah, non è ver, ben mio”.
Dramatische Leidenschaft
Xavier Sabata gehört demselben Jahrgang wie Max Cencic an. Der katalanische Opernsänger überzeugt durch seine wilde Leidenschaft und dramatische Kraft. Sabata ist ein Meister des Übergangs. Er kann Stimmungen heftigster Erregtheit sanft in Momente poetischer Innigkeit verwandeln. Das führt er in Händels Arie “Otton, Otton…” und in “O di spietati numi…” von Nicola Porpora mustergültig vor.
Yuriy Mynenko ist ein Phänomen: Der 1979 in Radomyschl/Ukraine geborene Sänger verfügt über einen Stimmumfang von drei Oktaven (G–b"). Somit kann er Kastratenstimmen singen. Doch Mynenko wäre nicht Mynenko, wenn er sich auf seiner Sonderbegabung ausruhte. Was er in seinen beiden Arien, Crude furie degl' orridi abissi von Händel und Ch’io parta? von Johann Christian Bach, zur Geltung bringt, ist vor allem emotionale Fülle.
Cencics Größe
Bei Max Emanuel Cencic kommt es einem so vor, als ob er all die besonderen Gaben von Countertenören in einer Person vereint. Man kriegt ihn nur schwer zu fassen und kann ihn nicht auf eine bestimmte Fähigkeit festlegen. Eher hat man das Gefühl, dass bei ihm alles stimmt. Technische Sicherheit, geschmeidige Koloraturen, emotionaler Ausdruck – alles fügt sich bei Cencic zu einem Ganzen, und in keiner Arie hat er dies großartiger zum Ausdruck gebracht als in Bertonis Addio o miei sospiri. Als er sie bei der Verleihung des ECHO Klassik 2013 sang, da war das Publikum überwältigt, und wenn man die Arie jetzt auf dem neuen Album wieder hört, dann kann man der damaligen Begeisterung des Publikums nur beipflichten. Mit “A questa bianca mano” von Baldassare Galuppi demonstriert Cencic dann einmal mehr seine poetische Brillanz, die nicht zuletzt auch deshalb so grandios zur Geltung kommt, weil die Feinabstimmung mit dem Kammerensemble Armonia Atenea unter der Leitung von George Petrou so gut gelingt. Der ebenso diskrete wie harmonisch transparente Klang des preisgekrönten Ensembles macht das Album auch instrumental zu einem ästhetischen Hochgenuss.