Er ist ein Pionier, wie er im Buche steht. Mit dem, was jeder kennt, findet er sich nicht ab. Oper, das ist für Max Emanuel Cencic das Gegenteil von Routine. Oper, das ist pulsierendes Leben, das ist Liebe, Begeisterung, Gefühl. Nun erscheint ein Doppelalbum mit der Weltersteinspielung von Hasses Oper “Siroe”. Mit von der Partie: Stars wie Sopranistin Julia Lezhneva, Countertenor Franco Fagioli und Dirigent George Petrou mit seinem Orchestra Armonia Atenea
Gutes Händchen
Und dass er hiervon etwas versteht, hat er nicht erst einmal unter Beweis gestellt. Seit Jahren demonstriert er seinem Publikum, dass alles, was er musikalisch anfasst, zu Gold wird. Auf “Rokoko”, seinem Solo-Debüt-Album bei Decca, brillierte er zuletzt mit Arien von Johann Adolph Hasse, einem weithin vergessenen Komponisten des Spätbarock. Dessen ebenso feierliche wie unterhaltsame Opernliedkunst erweckte er zu neuem Leben. Das Urteil der Presse war einhellig: Mit seiner reinen, unfassbar sanft gleitenden Stimme hat Cencic einen Schatz der Musikgeschichte geborgen.
“Göttlicher Sachse”
Und jetzt das: Eine noch nie aufgeführte Oper von Johann Adolph Hasse. Cencic scheint von diesem Komponisten nicht genug zu bekommen. Und er hat Recht, denn Hasse ist ein kompositorischer Gigant, der nur durch unglückliche Umstände in Vergessenheit geriet. Im 18. Jahrhundert galt Hasse als unbestrittene Größe der Opera seria. In Italien trug der gebürtige Sachse sogar den Beinamen “il divino Sassone” (“der göttliche Sachse”), und während seines langjährigen Wirkens an der Semperoper in Dresden war der alte Bach mit seinem jüngsten Sohn Wilhelm Friedemann bei Hasse-Aufführungen oft anwesend und lobte mit einer leichten Prise Ironie die “hübschen Melodien” des italienisch inspirierten Meisters.
Unterhaltsame Dramatik
Cencic führt vor, dass Hasse in der Tat ein Meister unterhaltsamer Melodik ist, aber seine Musik hat auch dramatische Kraft, und diese Mischung aus leichtem Fluss und tragischem Pathos kommt in dem jetzt erschienenen Doppel-Album der Oper “Siroe” mit imponierender Intensität zum Ausdruck. Nicht nur, dass diese Oper mit herrlich leichten und doch gar nicht oberflächlichen Arien gespickt ist, auch das dramatische Moment ist hinter der gleitenden Melodik immer anwesend. “Siroe” ist eine Oper des doppelten Bodens. Das Libretto von Pietro Metastasio hat es in sich.
Eine neue Ära
Cencic singt den persischen Kronprinzen Siroe, der in Emira verliebt ist (Mary-Ellen Nesi). Emira hat vor, Siroes Vater Cosroe (Juan Sancho) zu töten, weil der ihren Vater getötet hat. Laodice (Julia Lezhneva) liebt Siroe, der ihre Liebe aber nicht erwidert. Siroe gerät unverschuldet in die Zwickmühle einer Eifersuchtsgeschichte und in den Kampf um die Thronnachfolge seines Vaters, der zunächst seinen zweitgeborenen Sohn Medarse (Franco Fagioli) bevorzugt. Durch viel Opferbereitschaft und ein bisschen Glück triumphiert er am Ende und zieht mit Emira in den Palast ein. “Es bricht”, wie Cencic es ausgedrückt hat, “eine neue Ära an.” Fast möchte man sagen, dass auch mit Cencic eine neue Ära angebrochen ist, denn sein Label Parnassus ARTS hat mit Decca vereinbart, bis mindestens 2016 und darüber hinaus ähnliche bahnbrechende Opernprojekte zu realisieren. Geplant sind bereits Vincis “Catone in Utica” and Pergolesis “Adriano in Siria”. Darauf darf man nach “Siroe” nun mehr als gespannt sein.